Patrick Liedtke leitet bei Blackrock das europäische Versicherungsgeschäft. Im Interview spricht der Versicherungsexperte über die Probleme der Branche und die neuen Investmentstrategien der Assekuranzen.

Branchenfremden mag der Name Patrick Liedtke nicht sofort ein Begriff sein. Aber in der Versicherungsbranche ist der Deutsche mit Wohnsitz in der britischen Hauptstadt London ein gewichtiger Ansprechpartner. Der 50-Jährige berät die Branche im Auftrag von Blackrock, dem weltgrößten Asset-Manager. Mit dem Handelsblatt sprach Liedtke darüber, was die Manager in den Versicherungsfirmen umtreibt, worauf sich die Konzerne einstellen müssen und wie sehr sich die Branche verändern wird.
Herr Liedtke, Sie beraten Versicherungskonzerne und verwalten zusammen mit Ihren Kollegen bei Blackrock weltweit rund 400 Milliarden Dollar für die Branche. Was beschäftigt die deutschen Assekuranzmanager derzeit am meisten?
Das Thema Nummer eins ist mit Sicherheit die Profitabilität. Auf der einen Seite macht den Versicherern weiter das Niedrigzinsumfeld zu schaffen, indem es die Renditen der Anlageportfolios drückt. Auf der anderen Seite erschwert es vielen den Verkauf. Denn angesichts der niedrigen Renditen, die derzeit bei klassischen Anlagestrategien üblich sind, wirken viele Policen nicht mehr so attraktiv. Dadurch geraten die Kostenstrukturen in den Konzernen unter Druck. Der Trend ist deutlich: Ein Großteil der deutschen Unternehmen ist in den letzten fünf Jahren nicht mehr gewachsen.
Wie reagieren die Unternehmen darauf?
Viele Firmen schieben Programme zur Kosteneinsparung an und denken über neue Produkte nach. Gleichzeitig rückt auch immer mehr die Investmentpolitik in den Fokus. Denn viele Manager begreifen, dass sie dafür sorgen müssen, dass die Aktivseiten ihrer Bilanzen produktiver werden. Das lässt sich auch sehr gut in unserer Studie erkennen: Versicherer wollen bessere Anlageerfolge erzielen.

Das soll allerdings klappen, ohne dass das Risikobudget noch steigt. Wie soll das gehen?
Das ist die Schwierigkeit, der sich die meisten Versicherer gegenübersehen. Auf der einen Seite wollen sie höhere Renditen haben, was normalerweise ein höheres Risiko bedingt. Auf der anderen Seite wollen die Firmen sich nicht verwundbarer machen. Wie können sie also besseren Anlageerfolg bei gleichem Risiko erzielen? Hier verfolgen die Versicherer neuerdings vermehrt die Strategie, ihre Portfolios neu auszurichten und die beiden Enden des Anlagespektrums zu betonen: Zum einen kaufen sie weiter sichere Assets und zum anderen mehr Anlageformen, die ein höheres Risiko und mehr Renditepotenzial bieten. Dazu gehören illiquidere Anlagen wie Private Equity, Infrastruktur Equity und Real Estate Equity. Dagegen dünnen die Versicherer die Mitte des Anlagespektrums aus, so dass das Gesamtrisiko der Portfolios in etwa gleich bleibt.
Gleichzeitig wächst die Furcht vor Marktrisiken. Wie passt das zusammen?
Tatsächlich sieht die Branche zunehmende Marktrisiken, wie unsere Studie belegt. Die Zahl der Firmen, die mit Sorge auf die Entwicklung blicken, liegt so hoch wie seit fünf Jahren nicht mehr. Das ist sicher mit ein Grund dafür, warum die Unternehmen eher defensiv mit ihren Risiko-Budgets umgehen. Wir hatten 2016 und 2015 durchaus noch Unternehmen, die gesagt haben, wir wollen einen besseren Anlageerfolg durch mehr Risiko insgesamt erzielen. Doch heute ist diese Bereitschaft deutlich geringer. Die meisten Versicherer wollen derzeit ihr Portfoliorisiko nicht mehr ausbauen. Sie wollen es lediglich weiter optimieren.

Im Oktober tagt wieder die Europäische Zentralbank. Wie wichtig wäre eine Zinswende im Euroraum im Jahr 2018 für die Versicherer?
Das Interessanteste mit den Zinsbewegungen ist ja immer: Wie fallen sie aus? Für die Versicherer wäre es sicher die optimale zukünftige Entwicklung, wenn die Zinsen langsam aber stetig wieder stiegen. Ungünstiger wäre es, die Zinsen würden sprunghaft steigen. Die Stressszenarien in Sachen Zinsanstieg fallen allerdings so aus, dass die europäische Versicherungsaufsicht Eiopa momentan der Meinung ist, dass die Versicherer dagegen insgesamt recht gut gewappnet sind. Zudem erwarten die meisten Versicherungsmanager keine schnelle Zinswende.
Sehen Sie die europäischen Versicherer insgesamt stabil?
Die Solvabilitätsquoten der Versicherer, die ein Ausdruck der finanziellen Wetterfestigkeit der Firmen sind, liegen zumindest auf vergleichsweise hohem Niveau. Das sollte die Firmen in die Lage versetzen, eventuelle Veränderungen und Schocks abzufedern. Das heißt aber nicht, dass die Unternehmen sich ausruhen können. Die Versicherer sollten müssen dafür sorgen, dass sie auch in Zukunft Einkommensströme generieren und zwar sowohl für Ihre Kunden als auch Ihre Anteilseigner. Dafür braucht es Anstrengung: bei Produktentwicklung, Vertrieb, Technologien – und ganz besonders bei ihrer Investitionsstrategie.
Fonte:
Handelsblatt