Den deutschen Versicherern steht ein unruhiger Herbst ins Haus. Die Neue Assekuranz Gewerkschaft drängt auf Verhandlungen über einen neuen Tarifvertrag. Für die Organisation geht es vor allem um einen wichtigen Punkt.

Der Außendienst steht wie kaum ein anderer Zweig der Versicherungswirtschaft unter Druck. Viele große Versicherer haben angesichts des digitalen Wandels den Rotstift bei den Vertretern angesetzt – allein die Düsseldorfer Ergo will sich von 1300 Mitarbeitern im Vertrieb trennen. Dennoch glaubt Gewerkschaftssekretär Thomas Kreismer, lange Jahre Betriebsratschef bei der Versicherung VHV, dass Verbesserungen nötig sind, wenn der laufende Tarifvertrag für die knapp 40.000 Beschäftigten im Außendienst Endes des Jahres erstmals kündbar ist. Dem Handelsblatt sagte der Gewerkschafter, was für die NAG dabei die höchste Priorität hat und weshalb sich die Organisation auch von einem Gerichtsurteil nicht abschrecken lässt.
Herr Kreismer, die Neue Assekuranz Gewerkschaft plant einen neuen tariflichen Vorstoß für die knapp 40.000 Außendienstmitarbeiter in der Versicherungsbranche in Deutschland. Worum geht es Ihnen da?
Wir sehen akuten Handlungsbedarf, da die Anforderungen an die Beschäftigten im Außendienst durch ein verändertes Kundenverhalten, ausgeweitete Qualitätsinitiativen der Branche und neue europäische Richtlinien immer komplexer werden. Inzwischen müssen die Vertriebsleute einen Großteil ihrer Zeit damit verbringen, Beratungsgespräche zu dokumentieren und Dokumente auszufüllen, um die nötige Transparenz herzustellen – was die Arbeit immer aufwändiger macht. Zudem legen alle Beteiligten – Kunden, Unternehmen, Gesetzgeber und Aufsicht – zu Recht Wert auf eine Verschiebung des Tätigkeitsschwerpunktes von dem Verkauf hin zur Beratung. Das sind jedoch Aufgaben, die der Ende des Jahres erstmals kündbare Tarifvertrag bisher überhaupt noch nicht oder nicht hinreichend abbildet.

Der Außendienst steht allerdings ziemlich unter Druck. Ist das denn ein glücklicher Zeitpunkt, um neue Tarifforderungen aufzustellen?
Gerade wenn die Anforderungen an unsere Kolleginnen und Kollegen und der Druck auf die Einkommen immer größer werden, sind tarifvertragliche Schutz- und Ausgestaltungsregelungen nötig. Von allen Seiten werden verschärfte Erwartungshaltungen an die Betroffenen herangetragen. Da ist es nötig, dass wir als Gewerkschaft die Perspektive der Beschäftigten einbringen.
Wie lautet denn Ihre Kernforderung in Sachen Außendienst?
Unsere Kolleginnen und Kollegen benötigen Arbeits- und Einkommensbedingungen, die ihnen den nötigen Freiraum geben, um den erwähnten Anforderungen und Veränderungen gerecht zu werden. Zudem müssen die Bezüge so gestaltet werden, dass die Tätigkeit auch von Berufseinsteigern als attraktiv wahrgenommen und ungewollter Verkaufsdruck minimiert wird. Die konkreten Forderungen werden noch von unserer Tarifkommission festgelegt.

Ein Gericht hat allerdings geurteilt, die NAG sei nicht in der Lage, tariffähige Abschlüsse zu tätigen. Fürchten Sie nicht, dass viele Versicherer gar nicht mit Ihnen reden werden?
Die NAG ist tariffähig und als Branchengewerkschaft kompetenter Gesprächspartner der Arbeitgeberverbände. Die von Ihnen angesprochene Entscheidung wird derzeit vom Bundesverfassungsgericht überprüft und ist unserer Auffassung nach unhaltbar. Der NAG als junger Gewerkschaft aufgrund vermeintlich fehlender Größe tarifvertragliche Aktivitäten gerichtlich zu versagen, kommt einem verfassungswidrigen Gründungsverbot gleich. Zudem ist die NAG in den Vertrieben der Assekuranz in vielen Konzernen längst breiter vertreten als die Wettbewerbsgewerkschaften Verdi, DBV und DHV. Dass die Versicherungsunternehmen dies durchaus erkennen, kann man daraus ableiten, dass wir bereits einen Tarifvertrag mit der Continentale-Mannheimer-Gruppe abgeschlossen und für weitere Unternehmen Tarifkommissionen gebildet haben. Insofern freuen wir uns auf die Gespräche mit den Vorständen.

Wollen Sie mit allen Versicherern reden oder werden Sie sich einen Konzern rauspicken, um dort einen möglichen Pilotabschluss zu erzielen?
Wir verstehen uns als Branchengewerkschaft, insoweit streben wir übergreifende Tarifverträge an. Das schließt nicht aus, dass wir auch mit einzelnen Arbeitgebern Tarifverträge abschließen.
Gibt es einen Zeitrahmen, bis wann Sie eine Einigung erzielt haben wollen?
Ja, durchaus. Wir haben uns vorgenommen, dass bis zum Frühjahr 2017 ein Ergebnis vorliegen sollte. Das sollte uns ausreichend Zeit für Verhandlungen geben.
Und wenn Sie auf taube Ohren stoßen, erwägen Sie dann auch Arbeitskampfmaßnahmen?
Ich möchte es einmal andersherum beantworten: Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir auf taube Ohren stoßen werden und insofern stellt sich die Frage eigentlich nicht. Aber natürlich schließen wir grundsätzlich zum jetzigen Zeitpunkt nichts aus.
Fonte:
Handelsblatt