Wenn es brennt, kommt die Feuerwehr. Das ist auch bei der Provinzial Nordwest so. Der Versicherer sollte an die Allianz verkauft werden. Doch davon halten die Brandexperten gar nichts. Das wäre nicht zum Wohle der Menschen in der Region, rufen sie.
Denn dann gäbe es wohl keine Hochstrahlrohre mehr, mit denen in den vergangenen Jahren alle Feuerwehren in Westfalen dank der Unterstützung des Versicherers ausgerüstet wurden. Oder Wärmebildkameras und mobile Rauchverschlüsse. Ganz zu schweigen von Info-Mobilen für Schul- und Stadtfeste, ein Unwetterfrühwarnsystem sowie zinsgünstige Darlehen für Feuerwehrhäuser und Fahrzeuge. Von Zuschüssen zu Jugendzeltlagern und Jubiläen einmal ganz abgesehen.
Kurzum: „Ohne diese Förderungen, die dem Gemeinwohl zugutekommt, würde in vielen Fällen die Arbeit in den Feuerwehren leiden und damit für die Städte und Gemeinden als Träger der Feuerwehren eine nicht unerhebliche zusätzliche finanzielle Belastung bedeuten“, sagt Hans-Peter Kröger, Präsident des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV).
Die Aktion der Feuerwehr ist die ungewöhnlichste Solidaritätsadresse für den mittelgroßen Versicherer aus Münster. Die Provinzial Nordwest war vergangene Woche in die Schlagzeilen geraten, weil der Allianz-Konzern an dem Unternehmen interessiert ist. Mehr als zwei Milliarden Euro würde der größte Versicherer Europas auf den Tisch legen, um den Sparkassen- und Landschaftsverbänden das Unternehmen abzukaufen.
Schon die Absicht brachte nicht nur die Region rund um Münster auf die Barrikaden, sondern auch andere Teilen der Republik. Überall dort, wo die Provinzial Nordwest tätig ist: Nicht nur in Westfalen agiert das Unternehmen, auch in Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern sind Provinzial-Vertreter aktiv. Wie aufgewühlt die Menschen waren, kam daher auch schnell in der Politik an. Die sorgte dann am Montag überraschend schnell für etwas Entspannung und bereitete eine schnelle Entscheidung heute in Kiel vor.
Die Versicherung Provinzial Nordwest werde nicht an die Allianz verkauft, beschloss der Sparkassen- und Giroverband Schleswig-Holstein am heutigen Mittwoch in Kiel. „Damit ist definitiv der Verkauf vom Tisch“, sagte der Präsident des Verbandes, Reinhard Boll.
Die Entscheidung sei mit den anderen Anteilseignern noch nicht besprochen worden, für einen Verkauf wäre aber ein einstimmiger Beschluss notwendig. Anteilseigner sind neben dem Kieler Verband die Sparkassenverbände Westfalen-Lippe, der Rheinische Sparkassen- und Giroverband sowie der Ostdeutsche Sparkassen- und Giroverband.
Zuvor hatte schon die Politik ein klares Signal gegen die Allianz gesendet. Am Sonntag hatten die SPD-Ministerpräsidenten der beteiligten Ländern am Rande des SPD-Parteitags kurz über das Thema Sparkassenversicherer beraten, wie es in Branchenkreisen heißt. In der Diskussion: Eine Fusion der beiden Sparkassenversicherer Provinzial Nordwest und Provinzial Rheinland als Alternative zur Übernahme durch den Branchenriesen. Die NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, in deren Bundesland die beiden Versicherer ihren Hauptsitz haben, sollte die Führungsrolle übernehmen. Das tat sie auch – und wie.
Sie rang, wie das Handelsblatt schreibt, den beiden Sparkassenverbandschefs in Nordrhein-Westfalen sowie den Chefs der Landschaftsverbände das Versprechen ab, bis zum 31. März 2013 „über Möglichkeiten einer Fusion der beiden Provinzial-Versicherungsgesellschaften Nordwest und Rheinland zu verhandeln“. Bis dahin würden die Gespräche „mit anderen Interessenten“ ausgesetzt.Was wegen Rivalitäten der Eigentümer lange auf Eis lag, hat nun plötzlich wieder eine Chance: Ein großer Sparkassenversicherer unter dem Dach der bekannten Marke Provinzial. In Branchenkreisen wir sogar spekuliert, dass die Allianz gezielt angesprochen wurde, nur um Bewegung in die festgefahrenen Fusionspläne zu bekommen.
Dass die Politik so schnell eingegriffen hat, kam nicht von ungefähr. In Münster und Kiel, den beiden Provinzial-Standorten, war in der vergangenen Woche ein wahrer Proteststurm losgebrochen. Die Arbeitnehmer sind tief verunsichert, unter anderem auch, weil sofort die Gefahr drastischer Stellenstreichungen an die Wand gemalt wurde. In Westfalen lassen sich die Fusionsgegner bereits viel einfallen, um die Bevölkerung gegen die Allianz zu mobilisieren.
Die Gewerkschaften unterstützen dies und erklärten kategorisch: „Die Betriebs- und Personalräte der Öffentlichen Versicherungsunternehmen in Deutschland sind entschieden gegen Verkäufe von Öffentlichen Versicherungsunternehmen an private Versicherer oder Investoren.“
Die Gewerkschaft Verdi hatte die Verhandlungen mit der Allianz stets argwöhnisch verfolgt. Bei einem Erfolg hätte es zu einer neuen Diskussion über den Kauf von Sparkassen durch private Banken kommen können, sagte Verdi-Vorstand Beate Mensch dem Handelsblatt.
Doch einfach wird auch eine Fusion der beiden Provinzial-Versicherer nicht. Obwohl sie ähnlich heißen und gemeinsam unter der Marke „Provinzial“ werben, handelt es sich um zwei komplett unterschiedliche Unternehmen mit eigener Kultur, wie von beiden Seiten auch immer betont wird. Letztlich gehören beide Unternehmen den Sparkassen, die Eigentümerstruktur ist jedoch kompliziert. Auch kommunale Eigner sind über weitere Verbände beteiligt. Dies führt dazu, dass in beiden Unternehmen kein einzelner Eigentümer das Sagen hat. Gemeinsam sammeln die beiden mehr als fünf Milliarden Euro an Prämien im Jahr ein. Zusammen betrug der Konzernüberschuss im Jahre 2011 rund 200 Millionen Euro. Rund 5500 Leute arbeiten in beiden Unternehmen.
Dazu kommt: Die nun angekündigten Fusionsverhandlungen müsste der Chef des größeren Unternehmens, der Provinzial Nordwest, in die Hand nehmen. Das ist bisher Ulrich Rüther. Er selbst hat in Kiel als Manager eine Fusion innerhalb des Konzerns umgesetzt und weiß daher aus eigener Anschauung, welche Detailprobleme damit verbunden sind. Doch ob Rüther in Zukunft noch für diese Rolle zur Verfügung stehen wir, ist mehr als fragwürdig. Denn gerade erst wurde bekannt, dass er einen mutmaßlichen Angriff eines Unbekannten auf sich selbst nur vorgetäuscht hat.
Rüther war vergangenen Mittwoch nach einer vermeintlichen Attacke eines Vermummten kurz im Krankenhaus behandelt worden. Der Unbekannte soll ihm mit einem Schraubendreher in die Brust gestochen haben, hatte es geheißen. Nun muss sich Rüther selbst wegen Vortäuschens einer Straftat verantworten.
Zu Fragen nach Rüthers Zukunft äußert sich das Unternehmen nicht. Auch nicht zur Frage, wer die Fusionsverhandlungen führen könnte. In Münster ist Funkstille angesagt.
Aber auch der künftige Verhandlungspartner in Düsseldorf befindet sich in Unruhe. Derzeit wird die Provinzial Rheinland kommissarisch von Ludger Gooßens geführt. Ein neuer Vorstandsvorsitzender für die Rheinländer ist zwar bestellt, aber noch gar nicht an Bord. Walter Tesarczyk (59) soll im ersten Quartal 2013 in Düsseldorf antreten. Doch inzwischen knüpfen sich an seine Position viele Fragezeichen.
Denn Tesarczyk kommt ausgerechnet von der Allianz, für die er seit 1982 gearbeitet hat. Er war seit 2000 bei der Allianz Versicherungs-AG Vorstandsmitglied für das Firmenkundengeschäft. Bereits seit Juli 1993 saß er in Allianz-Vorständen – in dem Konzern, der die Provinzial in Münster kaufen wollte, dürfte er also bestens vernetzt sein.
Ob dies eine gute Voraussetzung ist, nun politisch erwünschte Fusionsverhandlungen zu führen? So fragt man sich in Branchenkreisen – zumal er den kleineren Partner repräsentierte und das Unternehmen noch gar nicht kennt. Nach Düsseldorf war er ja außerdem unter der Voraussetzung gegangen, Chef zu werden. Das könnte schon Ende März Vergangenheit sein. Denn in einer fusionierten Provinzial würde die Chefrolle wohl einem Manager aus Münster oder Kiel zufallen.
Oder gibt es doch noch einen Spielverderber? Der westfälische Sparkassenpräsident Rolf Gerlach könnte diese Rolle einnehmen, fürchten Branchenkenner. Er galt bisher als treibende Kraft für den Verkauf der Provinzial Nordwest, da er wegen zu erwartender Ertragsprobleme der Lebensversicherer Belastungen für die Sparkassen sieht.
Andererseits gilt er nach Informationen des Handelsblatt in der Sparkassenorganisation als jemand, der die Kräfte bündeln will. Sein Sprecher begrüßte die Initiative Krafts. An der Provinzial Nordwest sind die westfälischen Sparkassen und der kommunale Landschaftsverband mit je 40 Prozent beteiligt, 18 Prozent halten die Sparkassen in Schleswig-Holstein.
Die Provinzial Nordwest ist mit Beitragseinnahmen von rund drei Milliarden Euro der zweitgrößte Sparkassenversicherer. Nummer eins der Branche ist die Versicherungskammer Bayern. Zu den Branchengrößen gehört außerdem die SV Sparkassenversicherung in Stuttgart – ein Unternehmen, das zahlreiche Fusionen hinter sich hat und lange Zeit brauchte, um diese zu verarbeiten. Gegen die Attacke des großen Konkurrenten aus München setzen die Sparkassenversicherer vor allem ihre Verankerung in der Region und ihr öffentliches Engagement. „Alle Regionen in Deutschland profitieren vom gesellschaftlichen Engagement der Sparkassen und öffentlichen Versicherer in Kunst, Kultur, Wissenschaft, Sport und sozialen Projekten“, sagt der Verbandsvorsitzende der Öffentlichen Versicherer, Ulrich-Bernd Wolff von der Sahl. Deshalb seien die Sparkassen und ihre Versicherer gerade für Kommunen und Regionen ein natürlicher Partner.
Die Gruppe der Öffentlichen Versicherer nimmt für sich in Anspruch, dass die Konzentration auf eine bestimmte Region detaillierte Kenntnisse über ihr jeweiliges Geschäftsgebiet und dessen Risikostruktur verschaffe. Mit fast 4.400 Geschäftsstellen und über 11.000 Mitarbeitern im Außendienst in Deutschland seien sie überall dort, wo auch ihre Kunden sind.
Aus dieser gelebten Nähe habe sich über Generationen großes Vertrauen und eine hohe Identifikation der Menschen mit „ihrem“ Versicherungsunternehmen entwickelt. Mit einem Beitragsvolumen von rund 18 Milliarden Euro im Jahr 2011 und einem Marktanteil von mehr als 10 Prozent sind die öffentlichen Versicherer die zweitgrößte Erstversicherungsgruppe am deutschen Markt. Zusammen sind sie damit der größte Konkurrent des größten Versicherungskonzerns im Lande, der Allianz.
Schon in der Vergangenheit haben sich einzelne Sparkassenversicherer mehrmals zu größeren Einheiten zusammengeschlossen. Ob dies nun auch bei der Provinzial gelingt? Beim rheinischen Sparkassenpräsidenten Michael Breuer läuft Ministerpräsidentin Kraft jedenfalls offene Türen ein. „Als Miteigentümer der Provinzial-Versicherung Rheinland sind wir offen für Überlegungen und Lösungen, die die Hebung von Synergien im Bereich der öffentlich-rechtlichen Versicherer betreffen“, hieß es beim Verband.
Bei der Konsolidierung ihrer Versicherer konnten die Sparkassen in den vergangenen Jahren keine weiteren Fortschritte verzeichnen. Während die genossenschaftliche Bankengruppe nur einen einzigen Versicherer hat, leistet sich die Sparkassen-Organisation elf verschiedene Erstversicherer. Deren Zahl könnte nun weiter schrumpfen – indirekt womöglich auch dank der Allianz. Denn durch deren Verkaufsangebot rücken die Sparkassenversicherer wieder enger zusammen und besinnen sich auf ihre Gemeinsamkeiten.
Die öffentlichen Versicherer arbeiteten zwar dezentral – also regional begrenzt – in ihrem jeweils eigenen Geschäftsgebiet, erklärte von der Sahl. Sie kompensierten die Nachteile der dezentralen Struktur jedoch teilweise über eine Bündelung ihrer Kräfte. Zum Beispiel, indem sie über ihre Gemeinschaftsunternehmen in der Kranken- oder Rechtsschutzversicherung kooperierten.
„Damit sind wir absolut wettbewerbsfähig – und das, ohne unser dezentrales Geschäftsmodell aufgeben zu müssen“, sagte Wolff von der Sahl. Darüber hinaus rangierten die fünf größten der elf Sparkassenversicherer sämtlich in den Top 20 des deutschen Versicherungsmarkts. „Durch die Konsolidierung innerhalb der Gruppe öffentlicher Versicherer konnten verstärkt Synergien gehoben werden, um langfristig höhere Erträge für unsere regionalen Eigentümer zu erzielen.“ Die Sparkassen zögen aus ihrer Doppelrolle als Eigentümer und Vertriebspartner kontinuierlich Erträge bei gleichzeitigen Provisionseinnahmen.