Der Versicherungskonzern Ergo hat seine Kunden nach Informationen des Handelsblattes durch so genannte „Umdeckungen“ um Zinserträge von mehreren Millionen Euro gebracht. Wie der Konzern dem Handelsblatt auf Anfrage bestätigte sind 4.952 Kunden der Sparten Victoria und Hamburg-Mannheimer betroffen. Sie wurden in Sonderaktionen des Vertriebs dazu verleitet, hochverzinste Lebensversicherungsverträge in niedriger verzinste Unfallversicherungen mit Beitragsrückgewähr gegen Einmalbetrag (UBR-E) zu tauschen. Die Vertreter wurden für solche Umschichtungen mit doppelter Vergütung belohnt.
Dem Handelsblatt liegt ein Bericht der Ergo-Konzernrevision vor. Danach begannen die Umschichtungen im Juli 2009 bei der Ergo-Tochter Victoria. Innerhalb von nur vier Wochen generierten die Vertreter 42 Prozent des Jahresumsatzes mit UBR-E-Verträgen und stornierten hochverzinste Lebensversicherungen im Wert von 12,8 Millionen Euro. Deren durchschnittliche Restlaufzeit betrug 18 Jahre.
Allein diese rund 2.300 betroffenen Kunden verloren über die gesamte Restlaufzeit gesehen Zinserträge zwischen 9,5 und 13 Millionen Euro. Ergo wollte zu der genauen Verlusthöhe für alle 4.952 Kunden keine Angabe machen. Im Revisionsbericht des Unternehmens ist neben dem Zinsverlust auch von steuerlichen Schäden für die Kunden die Rede.
Obwohl Kunden gesetzlich vor Fehlberatung geschützt sind, fand die Versicherung einen Weg, das schädliche Tauschgeschäft durchzuführen. Die Revision hielt fest: „Eine bedarfsgerechte Verkaufsberatung wurde in den obligatorischen Beratungsbögen nicht dokumentiert. Vielfach wurde vermerkt „Beratung gewünscht, auf Dokumentation wurde verzichtet“ und insofern waren die Inhalte der Beratungen nicht nachvollziehbar.“
Victoria-Vorstand Olaf Bläser verfügte mit Schreiben von August 2009, die Umdeckungen zu beenden. Doch zwei Monate später änderte der Konzern die Vorgaben: „Auf der Ergo-Vorstandsklausur vom 9./10.11.2009 wurde beschlossen, den Verkauf des Produktes UBR-E auch in anderen Vertriebswegen weiter zu forcieren“, heißt es im Revisionsbericht. Die Umdeckungen fanden dann 2010 und 2011 nicht nur bei der Victoria sondern auch der Schwestergesellschaft Hamburg-Mannheimer statt.
Laut eines Sonderprüfberichts der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte im Auftrag der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht haben Ergo-Kunden Anrecht auf Wiedergutmachung. In dem Bericht heißt es: „Verletzt der Versicherer eine der genannten Pflichten (Beratung & Dokumentation) aus §6 Versicherungsvertragsgesetz, so haftet er dem Versicherungsnehmer auf Schadenersatz.“ Ob sich ein einzelner Versicherungsvermittler darüber hinaus auch wegen Betruges strafbar gemacht hat, sei eine Frage des Einzelfalles.
Nach Angaben von Ergo wurden die insgesamt 4952 betroffenen Kunden bereits angeschrieben. Es hätten sich jedoch nur 47 von ihnen für eine Rückabwicklung der Verträge entschieden. Ein Sprecher sagte, man könne den Kunden die rationale und ökonomisch richtige Entscheidung nicht aufzwingen. Die Frage, ob allen Kunden die entgangenen Zinserträge mitgeteilt wurden, ließ Ergo unbeantwortet.