Am Ende fliegen in der alten Frankfurter Börse vereinzelte rote Würfel aus Knautschkunststoff mit Firmenaufdruck durch die Luft, 30 Talanx-Mitarbeiter und das Börsenpersonal klatschen. Und Talanx-Vorstandschef Herbert Haas wirbelt die große Börsenglocke so enthusiastisch durch die Luft, dass man befürchtet, er würde sie seinem Finanzvorstand Immo Querner an den Kopf knallen. Aber es geht alles gut – die Bimmelei und der Börsengang. Ein “sehr emotionaler Moment” sei das, sagt Haas, und dass er “außerordentlich zufrieden mit der ersten Kurssetzung” sei.

Nach 15 Jahren Anlaufzeit ist der Versicherer Talanx da angekommen, wo er immer hin wollte: An der Börse. Noch vor drei Wochen war der letzte Anlauf abgesagt worden, zu niedrig war der Preis, den Investoren für eine Aktie des HannoverRück-Mutterkonzerns zahlen wollten. Doch an diesem Dienstag hat das Hin und Her ein Ende. Und der erste Kurs liegt mit 19,05Euro deutlich über dem Ausgabepreis von 18,30 Euro, den Talanx am Abend zuvor bekannt gegeben hatte. Rund elf Prozent der Anteile hat der Versicherer platziert und nimmt damit über den Börsengang rund 520 Mio. Euro ein. So viel hatte seit dem Chemieunternehmen Brenntag im März 2010 kein deutsches Unternehmen mehr erlöst. Zum Ausgabepreis wird Talanx mit 4,6 Mrd. Euro bewertet.
Der Weg zur Börsenglocke war kompliziert. Immer wieder hatte Talanx in den vergangenen Jahren bei den Investoren vorgefühlt, ob diese bereit wären, Aktien zu zeichnen. Immer wieder gab es in dieser Zeit Gerüchte aus Unternehmenskreisen und von Investorenseite, dass der Börsengang jetzt aber wirklich bald bevorstehe. Sie stimmten selten. Daher können sich selbst Talanx-Mitarbeiter ein Grinsen nicht verkneifen, als Börsenvorstand Frank Gerstenschläger an diesem Dienstag zur Eile mahnt, während sich die Menschentraube in einem vom Börsenparkett getrennten Raum um 8.45 Uhr noch an Kaffee und Orangensaft gütlich tut. “Wir müssen im Zeitplan bleiben”, ruft Gerstenschläger in die Runde.
 
Vor dem aus dem TV berühmten Tresen im Handelssaal gibt sich Haas wenige Minuten später erstaunt über die vielen Fotografen die auf ihn, seinen Stellvertreter Christian Hinsch, Finanzchef Querner und Börsenvorstand Gerstenschläger warten. Drei Minuten nach neun ist Haas die Nervosität ins Gesicht geschrieben. Er wippt auf den Zehenspitzen auf und ab, schaut auf die Kurstafeln, die an den Wänden der Börse hängen und auf denen bereits die ersten Veränderungen bei DAX-Aktien zu sehen sind. “Was macht denn die Allianz?”, fragt er seinen Finanzchef. Der schweigt. Die Allianz-Aktie steht bei 93,32 Euro. Noch ist das Orderbuch offen, den ersten Preis loten die Anleger noch aus.
“Matching range: 18 Euro 50 bis 19 Euro 20”, ruft der zuständige Händler um 09.06 Uhr in den Saal. In dieser Spanne befinden sich Kauf- und Verkaufsangebote der Anleger zu dieser Zeit. Haas nickt, seine Schultern entspannen sich. Um 09.12 Uhr knetet er die Hände hinterm Rücken, noch kann der Preis runter gehen. Eine Minute später dreht sich Börsenchef Gerstenschläger zum Händler um: “Ja, was ist, machen wir jetzt?” Um 09.14 Uhr die zweite Matching Range: 18,80 Euro bis 19,20 Euro. Das untere Ende der Spanne hat sich erhöht, ein gutes Zeichen. Haas lehnt sich am Tresen zurück. Ein Fotograf erzählt, dass es einmal bis 20 vor zehn gedauert habe, bis der erste Preis feststand. “Ach ja, das gibt’s auch?”, lacht Haas. Er sieht nicht aus, als würde er sich das für diesen Tag wünschen.
Um 09.19 Uhr unterhalten sich Gerstenschläger und die Talanx-Mannschaft über Krawatten. Um 09.20 Uhr ist das Orderbuch geschlossen. Der Händler und sein Computer rechnen. Um 09.24 Uhr wirkt Haas’ Lächeln wie ins Gesicht geschnitzt. 09.26 Uhr: “Erster Kurs: 19 Euro fünf”, schreit der Händler. Haas’ Lächeln entspannt sich, Querner atmet einmal ganz tief durch, es wird gebimmelt, die Schaumstoffquader fliegen. Applaus.
Wie er sich denn jetzt so fühle, wird Haas gefragt. Gut, das sieht man ihm an. Die Fragen nach dem Hin und Her der letzten 15 Jahre beantwortet er deutlich entspannter als in den vergangenen Wochen. “Wir sind der größte IPO seit 2007”, sagt er. “Man hat uns immer als Eisbrecher bezeichnet und als Eisbrecher muss man einen Zick-zack-Kurs fahren, um das richtige Fahrwasser durch das ganze Packeis zu finden”, metaphert er. Und als er hinzufügt, dass Talanx als das Unternehmen in die Geschichte eingehen werde, dass am längsten für seinen Börsengang gebraucht habe, dann klingt das nicht, als sei ihm dieser Umstand unangenehm. “Es hätte nicht besser laufen können.” Am Dienstagmittag kostete eine Talanx-Aktie nur noch 18,60 Euro.