Die ganze Natur ist eine Melodie, in der eine tiefe Harmonie verborgen ist“, sagte Johann Wolfgang von Goethe. Was er verschwieg: Die Natur besitzt auch große Zerstörungskraft, ihre Melodie klingt zuweilen wie das Tosen eines Hurrikans.
Der weltgrößte Rückversicherer Munich Re hat in einer 250 Seiten umfassenden wissenschaftlichen Analyse, die dem Handelsblatt in Auszügen vorliegt, diese lebensfeindliche Seite der Natur untersucht. Unter dem Titel „Wetterrisiko Nordamerika“ kamen die Forscher zu einem alarmierenden Ergebnis: Allein im ersten Halbjahr 2012 kosteten Hurrikans und Gewitterstürme in den USA die Versicherer 8,8 Milliarden Dollar. Die Studie setzt im Jahr 1980 an und belegt, dass es die höchsten Schäden innerhalb der vergangenen fünf Jahre gab.
Die Prognose für die USA fällt düster aus: „Nordamerika ist allen Wetterrisiken ausgesetzt, und sowohl die Häufigkeit als auch die Intensität extremer Wetterphänomene werden weiter zunehmen“, heißt es in der Studie. Auch für den Versicherer selbst hat das harte Konsequenzen: „Auf lange Sicht wird das zu wachsenden wirtschaftlichen und Versicherungsschäden führen.“
Nicht nur die Schadenssumme, sondern auch die Zahl der schweren Stürme ist deutlich gestiegen. Waren es früher im Schnitt 50 pro Jahr, stieg die Zahl in den vergangenen Jahren auf 100 bis 150. Im ersten Halbjahr 2012 zählten die Forscher bereits 61.
Derzeit ist es im Mittleren Westen der USA aber vor allem die Dürre, die in den vergangenen Wochen einst fruchtbare Felder in trostlose Wüstenlandschaften verwandelte. Die bisherigen Ernteausfälle schätzen Experten auf zehn Milliarden Dollar. Die Wirbelstürme Beryl und Debby lösten im Frühjahr schwere Überschwemmungen in Florida aus.
Diese Naturereignisse treten zudem in immer kürzeren Abständen auf. In den vergangenen 30 Jahren hat sich die Zahl extremer Wetterphänomene wie Wirbelstürme, Überflutungen oder Dürren in den USA fast verfünffacht. „Es gibt keinen anderen Kontinent, auf dem das so stark nach oben geht“, sagte Peter Höppe, Chef der globalen Risikoforschung der Munich Re.
Die Häufung extremer Wetterereignisse trifft damit ausgerechnet jenes Land, das nach China der zweitgrößte Verursacher von Treibhausgasen ist. Und ein Land, das sich ebenfalls mit der Volksrepublik gegen ein verbindliches internationales Klimaschutzabkommen sperrt. „Die Bedeutung des Klimawandels gerade für Nordamerika ist nicht bis zu den Politikern vorgedrungen“, sagt Risikoforscher Höppe.
Dabei war der demokratische US-Präsident Barack Obama Anfang 2009 nicht zuletzt mit dem Wahlversprechen angetreten, ein Klimaschutzgesetz zu verabschieden. „Jetzt ist der Moment, an dem wir gemeinsam diesen Planeten retten müssen“, sagte Obama. Er scheiterte an den Republikanern – und stellte seinen Ehrgeiz anschließend hintenan.
Katastrophenforscher Höppe urteilt streng: „In den USA werden Stimmen, die vor der Erderwärmung warnen, zu wenig gehört.“
Umstritten unter Experten ist noch, wie stark der Klimawandel ausfällt. Unstrittig aber ist, dass die Zahl wetterbedingter Naturkatastrophen steil ansteigt. Allein zwischen Januar und Juni dieses Jahres haben die Statistiker der Munich Re in Nordamerika 160 gezählt.
Damit steigt auch die Summe der Zahlungen, die Versicherer für in den USA entstandene Schäden aufbringen müssen. 2011 etwa war sie mit fast 75 Milliarden Dollar so hoch wie in den drei Jahren davor zusammengenommen. Doch die Regierung in Washington interessiert sich kaum dafür, obwohl immer mehr US-Bürger von Hurrikans oder Überflutungen betroffen sind. „Der Klimawandel wird fühlbarer, und es gibt mittlerweile klare Indizien“, sagt Karsten Löffler, Geschäftsführer von Allianz Climate Solutions.
Für die Amerikaner zeigt sich das aktuell vor allem an der verheerenden Trockenheit in weiten Teilen des Landes: „Die Dürre ist für uns keine Überraschung gewesen“, sagt der Georisiko-Chef der Munich Re, Peter Höppe. Der weltgrößte Rückversicherer hat deshalb bereits 160 Millionen Euro für die Schadensregulierung zurückgelegt. Überrascht zeigte sich die Munich Re aber vom Ausmaß der Katastrophe: Ein solcher Fall sei „mit Abstand noch nie eingetreten“, sagte Vorstand Torsten Jeworrek bei der Bekanntgabe der Quartalszahlen.
Dass die Dürre eine Ausnahme bleibt, ist eher unwahrscheinlich. 2012 ist das wärmste Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen in den USA. In den nächsten Jahren und Jahrzehnten sei mit einem deutlichen Anstieg von Hitzephasen und Dürren zu rechnen, erwarten die Experten der Munich Re. In den bisherigen Modellen gingen die Statistiker davon aus, dass eine solch extreme Trockenheit vielleicht alle 50 Jahre vorkommt. In einigen Jahrzehnten könnte eine verheerende Dürre die Vereinigten Staaten alle paar Jahre heimsuchen, warnt Höppe – mit entsprechenden Auswirkungen auf die Prämienberechnungen.
Die Munich Re kämpft seit Jahren gegen den Klimawandel – schließlich müssen die Versicherer einen großen Teil der Milliardenschäden zahlen. Das vergangene Jahr war mit einer Summe von 105 Milliarden Dollar an versicherten Schäden das bislang teuerste Naturkatastrophenjahr für die Assekuranz. Auch andere Versicherer warnen daher, dass sich das Klima zu Ungunsten von Bevölkerung und Versicherungswirtschaft entwickelt, während die Regierungen sich nicht auf Gegenmaßnahmen einigen können.
Der weltweit zweitgrößte Rückversicherer, Swiss Re, mahnt Unternehmen und Regierungen, über strengere Präventions- und Risikominderungsmaßnahmen nachzudenken. Gerade in der Region um den Golf von Mexiko, wo die US-Energieindustrie konzentriert ist und tropische Wirbelstürme besonders häufig vorkommen, liege eines der größten Risiken, sagt der für Amerika zuständige Nachhaltigkeitsexperte der Swiss Re, Mark Way. „Durch Anpassungsmaßnahmen könnten in Florida bis zu 40 Prozent der erwarteten Schäden vermieden werden“, erklärt Way.
Doch Allianz-Geschäftsführer Löffler ist skeptisch, ob die Politiker so viel Weitsicht mitbringen: „Wenige Regierungen wollen ihr begrenztes Budget in etwas investieren, was vielleicht erst in ein paar Jahrzehnten passiert.“ Auch die Chancen, doch noch ein internationales Klimaschutzabkommen zu verabschieden, das das Kyoto-Protokoll ablöst, hält er für äußerst gering. „Wir glauben nicht, dass es in absehbarer Zeit dazu kommt.“
Die Munich Re hat den Zeitpunkt für ihre Analyse bewusst gewählt – 20 Jahre nach dem verheerenden Hurrikan „Andrew“, dem verheerendsten Wirbelsturm des 20. Jahrhunderts. Ob die Experten damit aber zur Politik durchdringen, ist noch nicht klar. Manchmal sei der einsame Kampf schon frustrierend, räumt Höppe ein.
„In den globalen Klimaverhandlungen wird immer wieder versucht, Entscheidungen und Verpflichtungen in die Zukunft zu schieben.“ Schließlich zahle sich Klimaschutz nicht sofort in barer Münze aus. Hochwasserschutzmauern und Schutzbunker gegen Tornados bleiben die meiste Zeit unbenutzt und werden deshalb ungerne von Privatpersonen finanziert.
Eine weitere Erkenntnis aus der Analyse: Mit einem verschärften Kampf gegen den Klimawandel allein ist es nicht getan, weil erste Auswirkungen ja bereits spürbar sind. Daher müsse gerade in den USA alles unternommen werden, um sich weniger verwundbar zu machen, rät Höppe – vom Überschwemmungsschutz über stabilere Gebäude bis hin zu Frühwarnsystemen. Nach dem Hurrikan „Andrew“ hatte sich tatsächlich einiges getan. Veränderungen sind oft nur möglich, wenn der Leidensdruck hoch genug ist.