unkt 12.10 Uhr beginnt der Exodus. Fast ein Viertel der knapp 4000 Allianz-Aktionäre verlässt den Innenraum der Münchener Olympia-Halle. In den fensterlosen Katakomben der alternden Sportarena lässt der Konzern Würstchen, Leberkäsesemmel und Wraps servieren.
Die drin bleiben, erleben, wie Frank Braßel von der Hilfsorganisation Oxfam das Unternehmen angeht. Diejenigen, die sich einen Imbiss gönnen, hören Braßels Äußerungen via Bildschirm. Die Allianz habe 6,2 Mrd. Euro in Fonds investiert, die mit Lebensmitteln spekulierten, sagt der Oxfam-Mann. Sie seien für Preiserhöhungen verantwortlich, die für die arme Bevölkerung vieler Länder Nahrung unerschwinglich machten – und damit für den Hunger Zehntausender.
Braßel ist nicht allein mit dieser Meinung. Umweltschützer und Menschenrechtler gehen einer nach dem anderen ans Rednerpult. Ein Sprecher von Greenpeace aus China, ein Vertreter einer ländlichen Gemeinde aus einem Bergbaugebiet in Indonesien – alle kritisieren Investitionen in Kohlebergwerke oder Waffenhersteller.
Die Allianz engagiere sich für den Klimaschutz, lobt Heffa Schücking von der Umweltschutzorganisation Urgewald zunächst. Der Konzern habe zwar über eine Milliarde in erneuerbare Energien gesteckt. “Aber Allianz-Investitionen sind vor allem eins: klimaschädlich”, sagt sie und nennt Ausgaben für Kohlekraftwerke in China und zahlreiche andere ethisch problematische Firmen.
Vorstandschef Michael Diekmann fühlt sich sichtlich unwohl. “Das Thema Nahrungsmittelspekulation nehmen wir sehr ernst”, sagt er. “Die Reputation der Allianz ist lupenrein, das ist Teil unseres Geschäftsmodells.” Das sei viel mehr wert als kurzfristige geschäftliche Erfolge. Diekmann lobt auch die umweltbewussten Redner für ihren Stil. “Alle Vorträge wurden mit hohem Respekt vorgetragen”, sagt er. “Man kann das auch ganz anders machen.”
Allerdings werde die Allianz nicht in jedem Punkt der Kritik folgen. “Dann kommt der nächste, der sagt, Autos sind umweltschädlich – und die Allianz investiert in Autokonzerne.”
Finanzvorstand Paul Achleitner wird konkreter und zeigt sich dabei um Ausgleich bemüht. Fabrikanten von Streumunition, chemischen und biologischen Waffen seien auf der Ausschlussliste der Allianz, wenn es um die Anlage der 460 Mrd. Euro Versicherungsgelder gehe. “Kohle steht nicht auf der Blacklist”, sagt er weiter. “Da sind wir aber bereit, in sinnvolle Diskussionen einzutreten.”
Ohnehin sei die Allianz in China nur mit 6 Mio. Euro an einem Bergwerksunternehmen beteiligt und halte dort 0,04 Prozent. In Indonesien handele es sich um 5 Mio. Euro. Und auf Rechnung der Allianz-Versicherungen gebe es null Investitionen in Rohstofffonds bei Lebensmitteln. Dennoch beugt Achleitner vor: “Wenn Sie ein Portfolio von 460 Mrd. Euro verwalten, dann kann immer das eine oder andere gefunden werden, was nicht so gut aussieht.”
Zum Bestand der Töchter Pimco und Allianz Global Investors (AGI) sagt er nichts – denn sie verwalten 1200 Mrd. Euro für Dritte, die ihre Investitionsentscheidung selbst treffen. Hier sieht Achleitner die Allianz offenbar nicht in der Verantwortung. Er sagt nichts zu den 6,2 Mrd. Euro, die Oxfam nennt. Möglicherweise hat die Hilfsorganisation die Volumen entsprechender Fonds von Pimco und AGI zusammengezählt.
Es ist Achleitners letzte Allianz-Hauptversammlung, er wechselt als Aufsichtsratsvorsitzender zur Deutschen Bank. Zu Beginn hat er sich bedankt bei Aufsichtsrat, Vorständen, Mitarbeitern und Aktionären. Auch der Aufsichtsratsvorsitzende Henning Schulte-Noelle wird verabschiedet, er geht aus Altersgründen.
Achleitner wird die Diskussion um ethische Fragen erhalten bleiben. “Die Allianz schmückt sich gern mit dem Kleid der Nachhaltigkeit, und ich muss sagen, das steht ihr im Vergleich zur Deutschen Bank nicht schlecht”, sagt Umweltschützerin Katrin Ganswindt. Sie kündigt weitere Proteste an – auch bei Deutschlands größtem Geldhaus.