Die Allianz Deutschland macht eine Kehrtwende bei der Bearbeitung von Versicherungsschäden. Künftig soll wieder ein einzelner Sachbearbeiter einen Schaden von Anfang bis Ende abwickeln, anstatt wie zurzeit eine Reihe von Mitarbeitern. Außerdem verantworten künftig wieder die operativen Versicherer die Schadenbearbeitung, nicht mehr allein der zentrale Betrieb.
Damit dreht Deutschlands größter Versicherer in einem wichtigen Punkt die rabiate Reform zurück, die Konzernchef Michael Diekmann 2005 angestoßen hatte. Damals krempelte er den Konzern grundlegend um. Teile der Reform sind aber unpraktikabel und sorgen bis heute für schlechte Stimmung. Jetzt zieht Markus Rieß, seit 2011 Deutschland-Chef, die Notbremse. Er soll verlorene Marktanteile zurückholen und hohe Gewinne abliefern.
“Wir sind mitten in der Einführung der Änderung”, bestätigte Mathias Scheuber, Vorstand der Allianz-Versicherung, der FTD. In der Sach- und der Haftpflichtversicherung werde das neue Schadenmodell seit Anfang April umgesetzt, in der Autoversicherung schon seit Monaten. “Es handelt sich um Justierungen an unserem Betriebsmodell”, sagte er. Ziel sei es, die Schadenbearbeitung “noch erfolgreicher” zu machen. Einen ähnlichen Schritt erwägt das Unternehmen nach Angaben aus Konzernkreisen auch bei einer weiteren zurzeit zentralisierten Aufgabe, der Risikobewertung und Preisfindung für Versicherungen, im Branchenjargon Underwriting. Das wollte ein Sprecher nicht bestätigten.
Der Grundgedanke der Reform von 2005: Die Verwaltungen der verschiedenen Versicherungstöchter werden so weit wie möglich zusammengelegt, um Kosten zu sparen und die Kunden besser zu bedienen. Da es rechtlich nicht möglich ist, Lebens-, Kranken- und Schadenversicherer zu verschmelzen, musste die Allianz sie als Risikoträger separat lassen, zentralisierte aber alles andere – Vertrieb, Risikobewertung und Schadenbearbeitung.
Das unter Mithilfe von Boston Consulting erarbeitete Modell sah vor, 5700 von 31.000 Vollzeitstellen zu streichen, ganze Standorte wie Köln zu schließen und ein gigantisches Callcenter in Leipzig zu eröffnen. “Jetzt stellen sie in Köln Leute ein und bauen in Leipzig ab”, sagte ein Allianzer amüsiert. “Natürlich hat das Betriebsmodell die Allianz unglaublich verändert, das wird auch nicht mehr zurückgedreht. Aber gut funktionieren tut es nicht.”
Die errechneten Synergieeffekte seien nur zum Teil eingetreten. Die Kostenquote der Allianz ist in der Tat nicht spürbar gesunken. Das Modell hat sogar dazu geführt, dass die Allianz eher mehr für kleine Schäden zahlt, als nötig wäre. Außerdem verärgert das Unternehmen Kunden und Vertreter.
In den vergangenen fünf Jahren galt: Wenn ein Kunde einen kleinen Schaden bis 2500 Euro telefonisch meldete, nahm ihn ein Angestellter auf. Schickte der Kunde Unterlagen, bearbeitete sie ein ganz anderer, dem die Arbeit von den automatischen Verteilsystemen zugeteilt wurde. Hatte der Kunde eine Rückfrage, befasste sich ein dritter Mitarbeiter damit. “Wir haben festgestellt, dass wir mit dieser Aufstellung mehr Hände am Schaden hatten, als wir das gewöhnt waren”, sagte Scheuber.
Künftig melden die Kunden ihre Schäden weiterhin in einem zentralen Callcenter. “Das geht auch nicht anders, wir haben 20.000 Schadenmeldungen pro Woche”, sagte Scheuber. Doch dann übernimmt künftig ein einzelner Sachbearbeiter den Vorgang und führt ihn bis zum Ende. Mit ihm kann der Kunde bei Rückfragen auch telefonieren.
“Wir haben gelernt, dass es in der Schadenbearbeitung auf die persönliche Verantwortung des Sachbearbeiters ankommt”, sagte Scheuber. Er trägt als Vorstand des einheimischen Schadenversicherers Allianz-Versicherung auch wieder die Verantwortung für die Schadenbearbeitung, die zwischenzeitlich allein beim zentralen Betrieb lag.