Das Katastrophenjahr 2011 kommt die Versicherungsbranche wegen der Überschwemmungen in Thailand teurer zu stehen als bisher angenommen. Die Versicherungsschäden des mit Abstand kostspieligsten Hochwassers der Geschichte erreichten mit zwölf Milliarden Dollar ein Ausmaß, das man sonst nur bei Erdbeben oder Wirbelstürmen erwarten würde, wie Jens Mehlhorn, Leiter des Bereichs Flutrisiken beim Schweizer Rückversicherungskonzern Swiss Re, erklärte.
Insgesamt summierten sich die versicherten Schäden 2011 auf 116 Milliarden Dollar, wie der am Mittwoch veröffentlichten Statistik des zweitgrößten Rückversicherers der Welt zu entnehmen ist. Die Branche schrammte damit knapp an einem neuen Rekord vorbei: Kostspieliger war bisher nur das Jahr 2005, als der Wirbelsturm „Katrina“ die US-Südstaatenmetropole New Orleans zerstört. Damals waren 123 Milliarden Dollar zu stemmen. In einer ersten Schätzung vom Dezember war Swiss Re noch von 108 Milliarden Dollar Schadenzahlungen ausgegangen. Branchenprimus Münchener Rück hatte die Kosten im Januar auf 105 Milliarden Dollar veranschlagt. Anders als bei den Schweizern sind darin keine von Menschen verursachten Desaster berücksichtigt. Im Jahr 2010 musste die Branche für 48 Milliarden geradestehen.
Gemessen an den wirtschaftlichen Schäden geht 2011 als Rekordjahr in die Annalen ein: Die verheerenden Erdbeben in Japan und Neuseeland, die Überschwemmungen in Thailand und Stürme in den USA verursachten insgesamt 370 Milliarden Dollar volkswirtschaftlichen Schaden. Trotz der immensen Schadenlast überstanden die meisten großen Versicherer das Jahr gut, in dem sie zudem mit Gegenwind an den Finanzmärkten zu kämpfen hatten.
Für die Versicherungsbranche am teuersten war das Erdbeben mit nachfolgendem Tsunami in Japan im März: Es traf die Assekuranzen mit rund 35 Milliarden Dollar und war das kostspieligste Erdbeben seit Beginn der Aufzeichnungen. Mit jeweils zwölf Milliarden Dollar schlagen das Erdbeben in Neuseeland und die Überschwemmungen in Thailand zu Buche. Vor allem das Hochwasser in dem südostasiatischen Land erwischte die Unternehmen auf dem falschen Fuß: Die höchsten Niederschlagsmengen seit 50 Jahren ließen den Chao Phraya und seine Nebenflüsse über die Ufer treten und überschwemmten ein Gebiet so groß wie die Schweiz.
Neben riesigen landwirtschaftlichen Flächen waren auch Industriegebiete mit Fabriken großer internationaler Konzerne betroffen, was weltweit die Herstellung von Computern, Kameras und Autos stark beeinträchtigte. „Die Branche braucht 18 schadenfreie Jahre in Thailand, um sich von diesen Schäden zu erholen“, sagte Swiss Re-Experte Mehlhorn.
Das Desaster sieht er als Weckruf: Überschwemmungen seien wegen der Verflechtung der Wirtschaft ein globales Risiko geworden. Die Versicherungen für 70 Prozent der Schäden in Thailand wurden in den Zentralen internationaler Konzerne abgeschlossen, erklärte Mehlhorn. Vor allem in den aufstrebenden Ländern, allen voran in China, werde das Hochwasserrisiko unterschätzt.
Eine vergleichsweise geringe Rolle spielten Sturmschäden, die üblicherweise zu den teuersten Katastrophen zählen. In den USA wurde eine ungewöhnlich heftige Tornado-Saison im Süden und Mittleren Westen von einer mit Ausnahme des Wirbelsturms „Irene“ relativ glimpflich verlaufenen Hurrikan-Zeit gemildert. Insgesamt verloren im Vorjahr bei Katastrophen fast 35.000 Menschen ihr Leben, das Gros davon – über 19.000 – in Japan. Das sind erheblich weniger als 2010, als alleine das Erdbeben in Haiti 220.000 Tote forderte, aber mehr als doppelt so viele wie 2009.