Als die Allianz sich 1890 als Transport- und Unfallversicherung gründete, war ihr Aufgabenfeld klar abgesteckt. “In dieser Zeit, in der alles in Bewegung geraten ist, sind Sicherheiten mehr denn je gefragt”, begründeten der Versicherungsfachmann Carl Thieme und der Bankier Wilhelm Finck ihren Schritt.
121 Jahre später gilt die alte Übersichtlichkeit nicht mehr. Heute kümmert sich der Konzern sogar um die sexuelle Orientierung der Beschäftigten. In einer vertraulichen Mail, die an die Personalvorstände der Dax-30-Konzerne verschickt wurde, heißt es: “Unter dem Motto ,Gemeinsam mehr erreichen’ möchten Vorstände der Allianz SE gerne mit Ihnen sowie Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft über eine bessere Integration von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern in der Arbeitswelt diskutieren. Wir möchten uns damit für eine stärkere Sensibilisierung für diesen Personenkreis einsetzen und einen Anstoß für einen Veränderungsprozess innerhalb der Unternehmenskultur geben. Wir sind überzeugt davon, dass dies auch dem wirtschaftlichen Vorteil eines Unternehmens dient.” Das Schreiben, unterzeichnet von Allianz-Personalchef Christian Finckh, ist mit Konzernchef Michael Diekmann abgestimmt.
Bei den Adressaten mutet das Ansinnen merkwürdig an. Der größte Versicherungskonzern der Welt ist offenbar angetreten, das letzte Tabu der deutschen Wirtschaft zu brechen: Homosexualität, aber auch Trans- und Bisexualität sollen auf die Agenda der Konzerne.
Fragen von erheblicher Reichweite tauchen auf. Ist das die neue, zeitgemäße Form der Firmenkultur? Oder dringt das Unternehmen hier auf unlautere Weise in die Privatsphäre seiner Mitarbeiter ein? Und: Ruft der Allianzvorstand nicht geradezu mutwillig die Politik mit ihrem Regulierungswahn auf den Plan?