Der Verdruss sitzt tief. „Ich sehe keinen Anlass, das deutsche Gesundheitssystem grundsätzlich in Frage zu stellen“, klagt Oliver Schoeller, der für die Krankenversicherung zuständige Konzernvorstand der Gothaer Versicherung am Dienstag am Rande des Jahresgesprächs in Köln. Letztlich habe es den Kunden immer genutzt, wenn in einem System Wettbewerb herrsche. Die Pläne der SPD, eine Bürgerversicherung in Deutschland einzuführen, bringen die Branche in Wallung.
Alle Krankenversicherten sollen demnach künftig automatisch Mitglieder in dem neuen Einheitsmodell werden. Bundeskanzlerin Angela Merkel erteilte einer Bürgerversicherung zwar bereits eine Absage. Doch die Branche ist sich gewahr, dass solche Positionierungen zum üblichen Geplänkel vor Sondierungsgesprächen gehören.

Die SPD will die PKV zwar nicht auf einen Schlag abschaffen. Sie will aber den derzeit rund 8,7 Millionen Privatversicherten in Deutschland die Möglichkeit eröffnen, in die Bürgerversicherung wechseln zu können – und dabei ihre Rückstellungen mitzunehmen.
Jeder Neuversicherte, etwa Berufseinsteiger, solle dagegen automatisch Mitglied in der neuen Einheitsversicherung sein. Die Konsequenz: Auch immer mehr Gutverdiener, Beamte und Selbstständige würden gesetzlich versichert – und würden der Privaten Krankenkasse damit auf Dauer als Kunden fehlen.

Entsprechend groß ist der Widerstand unter den Assekuranzen und bei vielen Fachleuten. Der frühere Wirtschaftsweise Bert Rürup nannte in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt die Bürgerversicherung einen „verständlichen Wunsch, aber keine realpolitische Option”.

Zudem sei es völlig ungewiss, ob die Mehreinnahmen durch die Überführung von Privatversicherten in die GKV die Mehrausgaben ausgleichen würden. Auch auf der Health-Tagung des Handelsblatts plädierten vor wenigen Tagen Experten und Politiker für den Erhalt der PKV.

So sprach sich der Chef der Monopolkomission, Achim Wambach, dafür aus, bevor man über die Fusion von gesetzlicher (GKV) und PKV verhandelt, sich doch erst einmal um die getrennte Optimierung der beiden Systeme zu kümmern. Handlungsbedarf sahen auch die Vertreter von CDU, SPD, FDP und der Linken. Allerdings will die Union Wambachs Vorschlag nicht folgen, Wechslern das Recht zu geben, ihre Rückstellungen mitnehmen zu dürfen.
Die Mitnahme der Altersrückstellungen ist seit vielen Jahren ein umstrittenes Thema in der Branche. Denn bisher verliert ein Kunde in der Privaten Krankenkasse seine angesparten Altersrückstellungen bei einem Wechsel der Krankenkasse. Überlegungen, dieses zu ändern, konnten sich bisher nicht durchsetzen. Offenbar konnten die Privatversicherer glaubhaft machen, dass die volle „Portabilität“ der Rückstellungen aus diversen Gründen nicht möglich sei. Ohne diese angesparten Rückstellungen erscheint vielen Privatversicherten ein Wechsel jedoch bisher unattraktiv – was viele in ihrer Kasse verharren lässt.
Doch der Ruf der PKV ist lädiert – woran auch teilweise hohe Beitragssteigerungen in den vergangenen Jahren ihren Anteil haben. Viele, vor allem Ältere und Familien mit Kindern, beklagen deutliche Beitragssteigerungen der PKV – zumal Kinder, anders als bei gesetzlichen Kassen, nicht beitragsfrei mitversichert sind.

„Unseres Erachtens müssen auch die Inflation und der medizinische Fortschritt sowie die zunehmende Langlebigkeit von vornherein in die Prämie einkalkuliert werden“, kritisiert Bianca Boss, Sprecherin des Bunds der Versicherten. „Nur so kann man die stetigen Prämienerhöhungen dämpfen.“ Den von Beitragserhöhungen betroffenen Verbrauchern rät der BdV, einen Tarifwechsel innerhalb des Unternehmens zu prüfen.
Die Aufregung unter vielen PKV-Versicherten ist Jahr für Jahr hoch. Zumal kein Kunde dauerhaft von Beitragserhöhungen verschont bleibt, selbst wenn für nächstes Jahr die Beiträge auf der Stelle treten. Dass es gerade in der PKV zu teilweise deutlichen Anpassungen kommt, liegt auch an den Vorgaben, die die Politik den Privaten Krankenkassen einst gemacht hat.

Demnach darf eine Beitragsanpassung nur erfolgen, wenn die Versicherungsleistungen in einem Tarif nachweislich um mindestens zehn Prozent über der ursprünglichen Kalkulation liegen. So kann es kommen, dass ein Kunde ein oder mehrere Jahre keine Beitragserhöhungen bekommt, weil die Preissteigerungen unter dieser Schwelle liegen und nicht weitergegeben werden dürfen. Dann aber wird es auf einem Schlag für den Versicherten schmerzhaft.
Wirtschaftlich konnte die Debatte aber das Jahr für die Gothaer nicht trüben. Der Konzernjahresüberschuss steigt voraussichtlich im zu Ende gehenden Jahr um 1,2 Prozent auf 164 Millionen Euro, wie Gothaer-Konzernvorstand Karsten Eichmann ankündigte. Auch das Konzerneigenkapital wachse damit voraussichtlich um 5,4 Prozent und werde zum Jahresende bei 2,113 Milliarden Euro liegen.

Von einem „abermals guten Jahr“ sprach Konzernvorstand Eichmann in Köln. Die Gothaer erwarte ein leichtes Beitragswachstum der gebuchten Bruttobeiträge auf Konzernebene auf über 4,44 Milliarden Euro. Wachstumsträger sei dabei die Kompositversicherung gewesen. Auch in der Krankenversicherung legten die Bruttobeiträge leicht zu.

Doch die Versicherer wissen, dass die Beitragserhöhungen für sie keine Werbung sind. Die Erleichterung bei der Gothaer ist deshalb spürbar, dass ihre Krankenkassen-Kunden dieses Jahr keinen großen Anlass zur Klage haben. Der Kölner Anbieter werde seine Beiträge für alle Krankenversicherten für das Jahr 2018 mit durchschnittlich 2,53 Prozent sehr moderat anpassen und damit voraussichtlich deutlich unter Marktdurchschnitt liegen, verkündet Gothaer-Vorstand Eichmann.

Der Topmanager weiss, dass die Gothaer sich damit dieses Jahr sehen lassen kann. Er dürfte allerdings auch wissen, dass moderate Beitragsanpassungen allein nicht ausreichen, um die neu entfachte Diskussion in der Politik um die Bürgerversicherung zu beenden.
Fonte:
Handelsblatt