Der Versicherer Allianz macht ernst mit den lange angekündigten Anlagekriterien für ökologische, soziale und gute Unternehmensführung. Selbstlos ist ein solcher Schritt natürlich nicht.
Der Klimaschutz fängt bei der Allianz mittlerweile im eigenen Haus an. Überall in den Büros und Besprechungszimmern hinter der tempelartigen Empfangshalle in der Münchener Zentrale wird von Grund auf saniert. Das Signal nach außen ist klar: Der weltgrößte Versicherer hat nicht nur seit einem Jahr eine neue Zukunftsstrategie, der Bereich Nachhaltigkeit spielt bei einer gesamten Anlagesumme von knapp 700 Milliarden Euro zudem eine elementare Rolle.
Deswegen ist das Unternehmen auch bereits aus Investments in Kohle ausgestiegen. Und deswegen überbrachte Konzernchef Oliver Bäte bereits Ende September beim „Finanzwende Forum“ der Grünen folgende Botschaft: „Der Finanzsektor würde sehr gerne mehr Geld in erneuerbare Energien investieren“, rief Bäte den einigermaßen verblüfften Parteimitgliedern der Grünen zu. Es herrsche kein Mangel an Interesse und Geld.
37 Kriterien aus den Bereichen Umwelt (E), Soziales (S) und guter Unternehmensführung (C) wurden bei der Allianz deswegen jetzt konkretisiert. Alles auf Basis der Daten von MSCI ESG Research, einer auf diese Fragen spezialisierten Ratingagentur. Mehr als 8000 Unternehmen und Staaten wurden dabei durchleuchtet. Der Stuttgarter Tochter Allianz Leben kommt dabei die Pilotfunktion zu. Bis zum Ende des ersten Quartals 2017 sollen 85 bis 90 Prozent der Portfolios in der gesamten Gruppe auf diesen Stand gebracht sein, berichtet Urs Bitterling, der bei der Allianz für den Bereich Corporate Responsibility zuständig ist.

Ab sofort werden die ESG-Kriterien in die eigene Anlagestrategie eingebettet. Treibhausgasemissionen und Energieeffizienz, Datenschutz und Korruption zählen zum Themenkatalog, der darüber entscheidet, ob in Aktien oder Anleihen investiert wird oder nicht.

Viele Punkte wie der Umfang von CO2-Emissionen, Arbeitsstandards oder Geschäftsethik fallen einem dabei auf den ersten Blick auch ohne einen umfassenden Regelkatalog ein. Andere wie der Blick auf Wasserknappheit und Landnutzung, der Anfall von Elektroschrott oder die mögliche Instabilität des Finanzsystems im Unternehmen eher nicht. „Es geht in die Grautöne“, fasst es Allianz-Experte Bitterling zusammen.
In der Praxis bedeutet das bei der Anlageentscheidung eine Dreiteilung. Zuerst fallen all die Kapitalanlagen weg, die überhaupt nicht akzeptabel seien. Also Waffen oder Investments in Kohle. Danach folgen Investitionen in nachhaltige Projekte, beispielsweise in regenerative Energien, nachhaltige Transportsysteme oder Gebäude.

Am Ende steht der regelmäßige Austausch. Sieben Nichtregierungsorganisationen (NGO) sind mit im Boot, auch die Anlagemanager der Töchter Allianz Global Investors und Pimco sind involviert. „Hier gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, entweder einen Brief von Vorstand zu Vorstand oder auch den Auftritt auf der Hauptversammlung eines Unternehmens“, beschreibt Andreas Lindner, der Chef-Anleger von Allianz Leben, die Varianten.
Neue Herausforderungen
Das ist natürlich nicht nur gut fürs Image, in Zeiten der Nullzinspolitik und des Anlagenotstandes versprechen gerade Infrastrukturprojekte und der komplette Wandel ganzer Branchen wie der Autoindustrie langfristig auskömmliche Renditen. Dass sie hier was tun müssen, ist allen Versicherern klar.

Schließlich hat ein Mädchen, das heute geboren wird, eine Lebenserwartung von gut 100 Jahren. Schließt es mit 20 Jahren eine Lebensversicherung ab, besteht die Geschäftsverbindung bis zu 80 Jahre. Die Lebenserwartung und auch die Zukunftsfähigkeit der Menschheit sind hier also durchaus mit der Zukunftsfähigkeit eines Versicherungskonzerns verknüpft.
Wobei ein solch großer Schwenk bei einem Supertanker wie der Allianz in der Umsetzung natürlich seine Zeit braucht. Als vor einem Jahr der Ausstieg aus der Kohle angekündigt wurde, waren jedoch ein halbes Jahr später Aktien im Wert von 225 Millionen Euro verkauft, Anleihen über 3,9 Milliarden Euro ließ man auslaufen.
Trotz des neuen Ansatzes bei der Allianz bleibt die Kapitalanlage in nachhaltige Investments nicht nur eine Sache des guten Willens, sondern schlicht auch komplex. Am Finanzmarkt gebe es derzeit ein Nebeneinander von 400 verschiedenen Indikatoren, wann ein Investment als ökologisch, sozial und mit guter Unternehmensführung vereinbar gilt, kritisierte Christian Thimann vom Wettbewerber Axa bei derselben Veranstaltung der Grünen im September. Der Wildwuchs sei groß, letztlich mache jeder, was er wolle oder für richtig erachte.

Bei der Energiewende kommt es insbesondere auf die großen globalen Kapitalsammelstellen an. Die Internationale Energieagentur (IEA) hat ausgerechnet, dass sich die jährlich notwendigen Investitionen bis zum Jahr 2035 von heute 380 Milliarden Dollar auf 780 Milliarden Dollar mehr als verdoppeln müssen.

Zu schaffen wäre das durchaus. Weltweit verwalten Pensionsfonds und Versicherer 92 Billionen Dollar. Weniger als ein Prozent davon wäre also genug, um das Ziel zu erreichen.

Ein Umdenken macht sich auch im Ausland breit. War bei den ESG-Kriterien der Umweltschutz bislang eher ein typisch deutsches Thema, während anderswo vor allem soziale Aspekte im Vordergrund standen, so haben sich mittlerweile auch dort die Prioritäten etwas verschoben.
„Im Moment werden grüne Investments weltweit mehr und mehr populär“, beobachtet Matt Christensen, ein Amerikaner mit dänischen Wurzeln, der bei Axa Investment Managers seit Jahren das Geschäft mit ESG-Anlagen leitet. Einst ein Exot dort, ist er mit seiner Idee mittlerweile in die Mitte des eigenen Hauses gerückt. Gerade für so genannte „Green Bonds“ war 2016 ein Rekordjahr. „Der Markt beginnt sich gerade zu diversifizieren“, sagt Christensen.

Umgekehrt setzt auch bei den deutschen Gesellschaften ein Umdenken ein. „Wir kommen hier mit unseren wertgetriebenen Maßstäben nicht weiter“, gibt Nachhaltigkeits-Experte Bitterling offen zu.

Bestes Beispiel dafür sei die Atomkraft. Während der Ausstieg in Deutschland weitgehend dem gesellschaftlichen Konsens entspricht, ist die Wahrnehmung in Nachbarländern wie Frankreich oder Tschechien eine andere. Folglich muss bei diesem Thema auch ein globaler Ansatz her. „Wenn dann über die Problematik der Endlagerung gesprochen wird, dann betrifft das alle Länder und hilft, das Problem zu versachlichen“.
Fonte:
Handelsblatt
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