Die europäische Versicherungsaufsicht will die renditehungrige Branche von Ausflügen ins klassische Bankgeschäft abhalten. “Wir müssen jegliche Anreize dafür beschränken, typische Bank-Risiken auf den Versicherungssektor zu übertragen”, forderte der Chef der EU-Aufsichtsbehörde EIOPA, Gabriel Bernardino, am Mittwoch in Frankfurt. Die jüngste Finanzkrise habe gezeigt, dass die Versicherer durch solche Geschäfte ebenso systemrelevant würden wie die Banken – und daher unter verschärfte Aufsicht gestellt werden müssten. Die Branche hatte lange für sich in Anspruch genommen, nicht krisenverschärfend auf das Finanzsystem zu wirken.
Versicherungskonzerne haben aber begonnen, direkt Kredite zu vergeben oder Großprojekte zu finanzieren, da die klassische Geldanlage angesichts der niedrigen Zinsen nicht mehr genügend Rendite abwirft, um die Zusagen an die Versicherten erfüllen zu können. “Wenn Versicherungskonzerne ihr Geschäft auf Aktivitäten außerhalb der Versicherungswirtschaft ausweiten, sollten sie sich darauf gefasst machen, in Bezug darauf wie Banken behandelt zu werden”, warnte Bernardino. Der US-Versicherungsriese AIG war in der Finanzkrise nicht wegen des angestammten Geschäfts in Schieflage geraten, sondern weil er sich massiv an den Finanzmärkten getummelt hatte.
Bernardino stellte sich hinter Pläne der G20-Staaten, neben den systemrelevanten Banken auch systemrelevante Versicherer zu ermitteln, die von den Aufsehern genauer überwacht und etwa mit höheren Kapitalanforderungen belegt werden sollen. Gerade eine hohe Abhängigkeit von den Finanzmärkten könne dazu führen, dass auch Versicherer eine Krise des Finanzsystems verschärfen könnten. “Wir sollten besonders aufmerksam sein, wenn es in dem Sektor zu Fristentransformation kommt oder die Verschuldungs-Hebel erhöht werden”, sagte Bernardino. Er regte erneut an, auf längere Sicht zumindest für die länderübergreifenden Konzerne eine zentrale Aufsicht einzuführen – vergleichbar mit der für die Euro-Zone geplanten Bankenunion.
Der oberste europäische Versicherungsaufseher drängte die EU zu einer Umsetzung der neuen Eigenkapitalregeln für die Branche. “Es ist Zeit, dass wir vorankommen. Zuallererst brauchen wir ein starkes Bekenntnis der politischen Institutionen der EU zur Einführung von Solvency II”, sagte Bernardino auf einer Branchenkonferenz im Rahmen der “Euro Finance Week”. Ein klarer, glaubwürdiger Zeitplan bedeute wohl, dass Solvency II nicht vor 2016 in Kraft treten könne. “Die mangelnde Gewissheit rund um Solvency II gefährdet die Glaubwürdigkeit der EU in internationalen Debatten”, kritisierte er. Das neue Regelwerk hat sich mehrfach verzögert. Einige Elemente davon könnten aber schon früher in die Arbeit der Aufsicht einbezogen werden, sagte Bernardino.
Das gewichtigste ungelöste Problem bei Solvency II ist der Umgang mit langfristigen Zusagen an die Lebensversicherten. Das neue, risiko- und marktwertbasierte System führt in den Augen der Versicherer zu übertrieben starken Schwankungen in ihren Bilanzen. Bernardino forderte, Solvency müsse den Versicherern weiter die Möglichkeit geben, langfristige Garantien abzugeben, aber auf einer soliden Basis. “Das neue Regelwerk sollte keine Anreize bieten, um nicht nachhaltige Praktiken und Produkte aufrechtzuerhalten, die durch die ökonomische Wirklichkeit bereits in Frage gestellt werden.”