Europäische Versicherungsaufseher schießen bei der Anwendung der neuen Kapitalregeln für die Branche nach Ansicht hochrangiger Regulierer über das Ziel hinaus. Der Präsident der europäischen Regulierungsbehörde EIOPA, Gabriel Bernardino, warnte am Dienstag in Frankfurt davor, infolge von „Solvency II“ zu hohe Anforderungen an die Unternehmen zu stellen. „Es fehlt an Verständnis, wie das System funktioniert“, kritisierte er am Rande einer Konferenz für die Versicherungsaufsicht. „Solvency II“ wird zum Jahreswechsel in der EU eingeführt. Wie viel Kapital die Versicherer danach für ihre Kapitalanlagen zurücklegen müssen, richtet sich dann nach den damit verbundenen Risiken.
Die Aktienkurse der niederländischen Versicherer Delta Lloyd undAegon waren eingebrochen, nachdem sie erstmals ihre „Solvency II“-Kapitalquoten genannt hatten. Sie lagen mit 140 Prozent über den Mindestanforderungen, aber unter den bisherigen Quoten. Der deutsche Marktführer Allianz geht dagegen auch nach Solvency II von einer Quote von mehr als 200 Prozent aus. Bernardino sagte, die Versicherer sollten für ihre größere Transparenz und bessere Vergleichbarkeit nicht vom Kapitalmarkt bestraft werden. „Das wäre definitiv eine ungewollte Konsequenz.“
Auch der oft als „Vater von Solvency II“ bezeichnete frühere EU-Beamte Karel Van Hulle kritisierte den Umgang mit Solvency II. Es sei „lächerlich“, wenn einige Versicherungsaufseher bezweifelten, dass Unternehmen die Kriterien erfüllten, obwohl ihre Kapitalquoten um 100 Prozent über den Mindestanforderungen lägen. „Ich höre aus dem Markt, dass einige Aufseher sich so verhalten, das mag ich gar nicht.“