Eigentlich ist sich Michael Diekmann bewusst, dass das Thema Sprengstoff birgt. „Die Reputation der Allianz ist mehr wert ist als die letzten zehn Basispunkte“, sagte der Allianz-Chef bei der Präsentation der Halbjahreszahlen. Die Hilfsorganisation Oxfam wirft dem Versicherungsriesen vor, stärker als jedes andere deutsche Finanzinstitut an der Spekulation mit Nahrungsmittelpreisen beteiligt zu sein – und damit den Hunger in der Welt zu befördern.
Doch während viele Banken auf den Druck von Hilfsorganisationen reagieren und den Ausstieg aus Agrarinvestitionen ankündigen, sieht die Allianz die Lage ganz anders: Die Produkte würden niemandem schaden, also werde man sie weiterhin anbieten. Im Gegenteil: „Ein Rückzug als Investor wäre fatal“, zitiert die Allianz jetzt auf ihrer Homepage ihr Vorstandsmitglied Jay Ralph. „Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Investitionen in die Leistungsfähigkeit der Agrarwirtschaft.“
Laut Oxfam ist kein deutsches Finanzinstitut bei den Agrarspekulationen so aktiv wie die Allianz. Über sechs Milliarden Euro Kapital soll der Konzern auf den Warenterminmärkten in Agrarrohstoffen angelegt haben. Dabei handelt es sich nicht um Gelder der Versicherungskunden, sondern um Investitionen von Kunden der Vermögensverwaltungstöchter Pimco und AGI in Indexfonds für Agrarrohstoffe.
Bislang ist die Rolle der Allianz kaum wahrgenommen worden. Viel stärker in der Kritik steht die Deutsche Bank, obwohl sie laut Oxfam mit 4,6 Milliarden Euro „nur“ auf Platz zwei der deutschen Agrarinvestoren steht. Die Verbraucherorganisation Foodwatch fährt seit Monaten eine große Kampagne gegen die Bank. Die Deutsche Bank hat sich noch nicht entschieden, ob sie aus dem Geschäft aussteigen will. Sie prüft derzeit, welche Auswirkungen die Produkte haben.
Andere, kleinere Anbieter haben die Notbremse gezogen: Der Sparkassenfondsanbieter Deka, die Commerzbank und die Landesbank Baden-Württemberg haben angekündigt, ihre Investitionen in Agrarrohstoffe abzubauen. Für sie ist das Geschäft nicht so bedeutsam wie für die Allianz oder die Deutsche Bank (siehe Grafik). Sie ziehen sich lieber zurück, als einen Imageschaden zu riskieren.
Da der größte Anbieter Allianz sich nicht freiwillig bewegt, setzt Oxfam nun auf die Politik. Indexfonds auf Agrarrohstoffe sollten vom Gesetzgeber verboten werden, fordert die Organisation. Die Gespräche mit der Allianz seien sehr enttäuschend verlaufen. „Wir hätten gedacht, dass der Konzern wegen seines eigenen hohen ethischen Anspruchs reagiert“, sagt eine Sprecherin.
Unterstützung erhält die Allianz allerdings aus der Wissenschaft: „Solche Indexspekulationen sind volkswirtschaftlich sinnvoll und moralisch unbedenklich, ja sogar erwünscht“, sagt Ingo Pies, Wirtschaftsethikprofessor an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg.
Um das nachvollziehen zu können, muss man verstehen, wie die Geschäfte funktionieren. Auf den Terminmärkten können sich Bauern gegen einen Preisrutsch bei ihren Waren absichern. Um sicherzugehen, dass er einen bestimmten Preis erhält, kann ein Farmer schon heute einen bestimmten Verkaufspreis in der Zukunft festzurren. „Die Geschäfte auf den Terminmärkten funktionieren wie eine Versicherung“, sagt Pies.
Grundsätzlich haben die Nichtregierungsorganisationen dagegen nichts einzuwenden. Sie werfen den Banken und Versicherern allerdings vor, dass durch die Einführung von Indexfonds in den vergangenen zehn Jahren das Geschäftsvolumen auf den Terminmärkten übertrieben stark gestiegen ist. Dadurch entstehe eine Preisblase auf den Terminmärkten. In einem zweiten Schritt würden dann auch auf den Kassamärkten die aktuellen Preise anziehen.
Für Wirtschaftsethiker Pies, der in den letzten Monaten intensiv recherchiert hat, sind die Vorwürfe der Nichtregierungsorganisationen „nicht haltbar“. Wenn das Preisniveau auf den Terminmärkten so hoch sei, dass Bauern ihre Waren zurückhalten und nicht zum jetzigen Zeitpunkt verkaufen wollen, dann müssten die Lagerbestände stark steigen. Das sei jedoch nicht der Fall.
Laut Pies sind die starken Preissteigerungen gut mit fundamentalen Faktoren erklärbar. Eine wichtige aktuelle Ursache sei die Dürre in den USA. Zudem steige die Nachfrage nach Agrargütern, weil es immer mehr Menschen auf der Welt gibt, mehr Fleisch konsumiert wird und mehr Biosprit produziert wird.