Das Landgericht Berlin verschiebt überraschend ein Urteil im Streit um Beitragserhöhungen des Krankenversicherers Axa. Der Kläger wittert Morgenluft. Für die Branche geht das Zittern damit vorerst weiter.
Skepsis war Thilo Schumacher nicht anzumerken. „Für uns ist die Rechtslage eindeutig“, gab sich der Vorstand der Axa Krankenversicherung in Deutschland diese Woche noch siegesgewiss. „Die Beitragsanpassungen in der Privaten Krankenversicherung sind durch unser Haus in den vergangenen Jahren korrekt und gemäß den gesetzlichen Regelungen durchgeführt worden.“
Doch für die Richter am Landgericht Berlin stellt sich der Streit offensichtlich nicht ganz so eindeutig dar wie von der Axa erhofft. Überraschend verschoben die Juristen die ursprünglich für Mittwoch geplante Urteilsverkündung, um der Versicherung eine weitere Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, wie eine Sprecherin des Landgerichts sagte. Für die Branche geht damit vorerst das Zittern weiter. Axa und der Kläger erwarten nunmehr erst im Herbst ein Urteil.
Eigentlich hatte die Versicherung gehofft, mit einem klaren Urteil vor dem Landgericht die Irritationen wegzuwischen, die ein Richterspruch im Herbst aus Potsdam in der Branche ausgelöst hatte. Denn die Richter in Potsdam stellten das bisherige Prozedere der Beitragsanpassungen grundsätzlich in Frage. Eine Schlüsselrolle bei dem Streit spielte dabei die Rolle des Treuhänders.
Nach dem Versicherungsrecht prüft die Finanzaufsicht Bafin nicht selbst die Prämienerhöhungen der privaten Krankenversicherer, sondern überlässt dies von ihr geprüften Treuhändern. Die Potsdamer Richter sprachen dem Treuhänder jedoch die Unabhängigkeit ab, weil er mehr als 30 Prozent seiner Gesamtvergütung von der Axa erhalte. Doch vorerst bleibt es ungewiss, ob auch die Berliner Richter dieser Sichtweise folgen.
Klägeranwalt Knut Pilz sieht jedenfalls nach der Verschiebung der Urteilsverkündung seine Chancen wachsen. „Die Richter haben in ihren Ausführungen bereits deutlich gemacht, dass sie Bedenken haben, ob die Beitragserhöhungen formell wirksam waren und der Treuhänder unabhängig“, sagte Pilz nach dem Gerichtstermin dem Handelsblatt. So sei es ein gutes Zeichen, dass erneut die Axa zu einer Stellungnahme aufgefordert sei. Dies geschehe vor Gericht normalerweise stets, wenn die Richter Zweifel an der bisherigen Darlegung hätten.
Das sieht die Versicherung allerdings anders. Die Fortführung des Verfahrens zeigt aus Sicht des Unternehmens lediglich, dass das Landgericht Berlin weiteren Klärungsbedarf sieht, sagte eine Axa-Sprecherin. Streitpunkt in Berlin sind Beitragsanpassungen der Axa in den Kalenderjahren 2012, 2015 und 2016. Der Vorwurf des Klägers ist, dass der mathematische Treuhänder in diesen Jahren nicht unabhängig gewesen sei.
Für die Branche geht es dabei um viel. Unmittelbar betroffen ist zwar zunächst einmal nur der Versicherer Axa und die jeweiligen Kläger. Sollte das Urteil aus Potsdam jedoch Bestand haben und Schule machen, könnten auf die Branche Schadenersatzforderungen von mehreren hundert Millionen Euro zu rollen – allein die Axa hat rund 800.000 Kunden in der Krankenversicherung.
Der französische Versicherer will den Streit um die Rechtmäßigkeit von Beitragserhöhungen in der Privaten Krankenkasse deshalb durch alle Instanzen ausfechten. „Wenn es notwendig sein sollte, werden wir diesen Streit durch alle Instanzen bis zum BGH verfolgen“, sagte der für Krankenversicherungen zuständige Axa-Vorstand, Thilo Schumacher, vor der Verschiebung des Termins dem Handelsblatt.
Rechtsanwalt Pilz von der Kanzlei Pilz Wesser & Partner, der sowohl in Potsdam als auch in Berlin gegen die Axa klagte, glaubt, dass die Branche sich auf eine Klagewelle einstellen muss. Der Anwalt betreut für die Kanzlei inzwischen über 100 Verfahren, bei denen es um ähnliche Vorwürfe geht.
Dabei geht es auch um strittige Prämienerhöhung der DKV, des Krankenversicherers der Ergo. Die DKV arbeitet nach eigenen Angaben bei der Prüfung von Tariferhöhungen bereits seit 2004 mit ein und demselben Treuhänder zusammen. Pilz ist sicher, dass die Problematik nicht auf die beiden Versicherer begrenzt werden kann.
Doch die Rechtslage ist verwickelt. Denn die von den Richtern beschworene Grenze von 30 Prozent findet sich nicht im Versicherungsrecht, sondern lediglich im Handelsgesetzbuch. Danach dürfen Wirtschaftsprüfer nicht den Jahresabschluss eines Unternehmens testieren, wenn sie in den letzten fünf Jahren jeweils mehr als 30 Prozent ihrer Einnahmen von der zu prüfenden Gesellschaft bezogen haben. Es ist rechtlich umstritten, ob diese Grenze so einfach auf das Treuhänder-System der Privaten Krankenversicherung übertragen werden kann.
Axa-Vorstand Schumacher ist jedoch überzeugt, dass sich auf lange Sicht die Position des Versicherers durchsetzen wird. „Die Unabhängigkeit eines Treuhänders wird durch die unabhängige, verantwortliche Aufsichtsbehörde, die Bafin, geprüft“, betonte die Axa nach der Urteilsverschiebung. Der Treuhänder dürfe dabei insbesondere keinen Anstellungsvertrag oder sonstigen Dienstvertrag mit dem Versicherungsunternehmen oder einem mit diesem verbundenen Unternehmen haben, oder aus einem solchen Vertrag noch Ansprüche gegen das Unternehmen besitzen. „Diese Voraussetzungen waren vollumfänglich erfüllt und der Treuhänder war somit unabhängig.“ Erst im Herbst wird Schumacher allerdings wissen, ob die Richter ihm bei dieser Argumentation folgen.
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