Die traditionelle Lebensversicherung mit lebenslangen Garantien wird unter dem Druck der niedrigen Zinsen nach Ansicht der Finanzaufsicht BaFin bald zum Auslaufmodell. „Wir weisen stetig auf die Notwendigkeit eines breiteren Produktportfolios hin und ermutigen die Versicherer zu Innovationen”, sagte der oberste Branchenaufseher der Bonner Behörde, Felix Hufeld, der Nachrichtenagentur Reuters in einem Interview. Bisher haben nur einige große Versicherer wie Allianz und Ergo Produkte auf den Markt gebracht, die auf die langfristigen Garantien verzichten und dafür etwas mehr Rendite bieten. Hufeld erwartet bald Nachahmer, wenn die neuen Produkte Anklang finden. „Die ersten Monate scheinen ganz ermutigend. Viele Unternehmen warten das noch ab – aber das wird eher Monate als Jahre dauern.”
Den mehr als 90 deutschen Lebensversicherern fällt es immer schwerer, die versprochene Verzinsung auf Dauer zu zahlen, weil sie das Geld ihrer Kunden sicher nur noch zu niedrigen Zinsen neu anlegen können. „Die niedrigen Zinsen sind ein nationales Systemrisiko für die Versicherungsbranche”, sagte Hufeld. Wenn diese Phase länger anhalte, sei die Finanzstabilität in Gefahr.
Kurzfristig steuert die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gegen, indem sie die Versicherer dazu zwingt, mehr Geld für die Erfüllung künftiger Verpflichtungen zurückzulegen: 13,3 Milliarden Euro in den letzten drei Jahren. „Und das wird weitergehen. Die Branche weiß, dass die Zinszusatzreserve auch ihr nutzt”, sagte Hufeld. „Langfristig löst dies die Probleme jedoch nicht. Wenn wir japanische Verhältnisse bekommen, dann hilft auch das irgendwann nicht mehr.”
„Eins ist klar: Wir sind nicht das Gewerbeförderungsamt, sondern die Versicherungsaufsicht”, sagte Hufeld, der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir sind für das Risikomanagement und die finanzielle Stabilität zuständig und nicht dafür, wechselnde politische Ziele zu unterstützen. Aber schon heute ist bei Investitionen etwa in Infrastruktur viel mehr möglich als die Unternehmen machen.”
Die Bundesregierung hatte kürzlich ein Reformpaket auf den Weg gebracht, das die Ausschüttungen von stillen Reserven aus festverzinslichen Wertpapieren an die Kunden begrenzt. Hufeld verteidigte das Paket gegen die Kritik von Verbraucherschützern und Politikern: „Das Paket ist zwingend geboten. Überhöhte Ausschüttungen müssen gestoppt werden”, betonte er.
„Wir reden hier nicht von einem Rettungspaket, wie man es für einige Banken geschnürt hat”, sagte Hufeld. Das Gesetz dient gleichzeitig der Stabilisierung der Lebensversicherer und der Verteilungsgerechtigkeit innerhalb des Versichertenkollektivs. Denn die Bilanzen der Lebensversicherer bestünden zu mehr als drei Viertel aus den Rückstellungen für künftige Auszahlungen. „Die Interessen der Versicherer und der Versicherten kann man darum nicht trennen. Sie gegeneinander auszuspielen ist logischer Unfug.”
Hufeld hatte im Herbst Alarm geschlagen, dass einige der deutschen Lebensversicherer an den von 2016 an geltenden neuen Eigenkapitalregeln (“Solvency II”) für die Branche scheitern könnten. Die BaFin überprüft im August und September deshalb, wie die Versicherer mit Solvency II zurechtkämen. „Aber selbst wenn wir bei einem Unternehmen Lücken feststellen sollten bei der Bedeckung des Solvenzkapitals, heißt das noch lange nicht, dass das Unternehmen pleite ist”, sagte Hufeld. Dann würde die Finanzaufsicht zusammen mit dem Versicherer Gegenmaßnahmen erarbeiten. „Niemand muss Sorge um seine Verträge haben”, beruhigt Hufeld die Kunden. „Die Widerstandsfähigkeit der Branche ist hoch.”
Die verschärfte Überwachung globaler Versicherungsriesen muss nach Ansicht der deutschen Finanzaufsicht mit anderen Mitteln stattfinden als bei den weltweit größten Banken. Im Gegensatz zu den Banken gehe die Gefahr für das Finanzsystem hier weniger von einem großen Unternehmen aus als davon, dass viele Versicherer sich an den Finanzmärkten ähnlich verhielten, sagte der Chef der BaFin-Versicherungsaufsicht, Felix Hufeld, in einem Interview der Nachrichtenagentur Reuters in Bonn.
„Dass ein einzelnes Unternehmen von sich aus zum Problem wird, dürfte die Ausnahme sein. Viel wahrscheinlicher ist es, dass ein Ansteckungsherd eine große Zahl von Unternehmen infiziert – und genau daraus sich die systemische Qualität des Risikos ergibt.”
Mit einer besseren Kapitalausstattung für die weltweit größten Versicherer ist es für Hufeld daher nicht getan. „Daraus muss man andere Schlüsse ziehen als etwa bei den Banken”, sagte er. Die Regulierung großer Versicherer stehe noch am Anfang: „Das ist ein junges Kind, das muss sich noch weiter entwickeln.” Im Vordergrund stehe eine „präventive, intensivierte Aufsicht”, bei der die Versicherer etwa Krisen-Management-Teams aufstellen und Sanierungspläne entwickeln müssen, um für einen Notfall gerüstet zu sein. In Deutschland arbeite die BaFin daran derzeit mit der Allianz, die als einzige unter die neun „global systemrelevanten Versicherer” eingestuft wurde
Hufeld ist skeptisch, ob die Bezeichnung für die Versicherer überhaupt passt: „Das Attribut ‘global’ gilt in der Branche am ehesten für die Rückversicherer – die übrigen Versicherer sind eigentlich treffender als multi-lokale Player zu bezeichnen.” Die Rückversicherer waren vom Finanzstabilitätsrat (FSB) bisher aber ausgeklammert worden, wenn es um Systemrelevanz ging. Die Entscheidung, ob auchMünchener Rück und Swiss Re in die Liste aufgenommen werden, soll im Spätsommer fallen.
In der Finanzkrise hatte nur ein großer Versicherer gerettet werden müssen: die amerikanische AIG. Sie hatte sich mit Kreditausfallversicherungen (CDS) für komplexe Finanzprodukte verhoben – also mit Finanzgeschäften außerhalb der klassischen Versicherung. Ihr Ausfall bedrohte viele Banken und Investoren. Hufeld hofft, dass sich die Versicherer künftig durch Auflagen für ihre Kapitalausstattung von derartigen Ausflügen abhalten lassen. „Die Kapitalzuschläge sind nicht nur dazu da, die Sicherheit zu erhöhen, sondern sollen einen Anreiz schaffen, systemrelevante Aktivitäten abzutrennen.” Denn dann müsse ein Versicherer von der Liste systemrelevanter Versicherer auch wieder herunterkommen können.
Viele Versicherer suchen händeringend alternative Anlagen für die Beiträge ihrer Kunden, die auf lange Sicht sichere Renditen versprechen. Zugleich sucht die Politik Geldgeber für Großprojekte wie Überland-Netze oder große Pipelines. Doch nur wenige Versicherer beteiligen sich bisher an Projekten. Hufeld sagte, das liege mehr an den damit verbundenen Risiken als an den Vorschriften: “Der begrenzende Faktor ist nicht die Aufsicht – und das gilt unter ‘Solvency II’ umso mehr, sondern der Mangel an Anlagemöglichkeiten mit einem akzeptablen Risiko-Rendite-Verhältnis.”
Die Bundesregierung hat jüngst angekündigt, den Versicherern Investitionen in Infrastrukturprojekte zu erleichtern. Das Bundesfinanzministerium will dies über geänderte Anlagebedingungen für die Branche regeln
Die Tendenz im Jahr 2013
Die Branchenriesen sind immer vorsichtiger geworden. Im Schnitt lag ihre Überschussbeteiligung bereits mit 3,49 Prozent unter der stark beachteten Marke von 3,5 Prozent. Das war mager und lag unter dem ohnehin schon niedrigen Branchenschnitt von rund 3,6 Prozent sein. Manche Riesen haben sogar schon drei Prozent erreicht. Hier scheint nur noch wenig Speck zu sein, von dem die Kunden zehren können.
Die Ratingagentur Assekurata ermittelte folgende Werte für 2013:
Kapitallebensversicherung: 3,58 Prozent
Private Rentenversicherung: 3,61 Prozent
Laufende Rente: 3,91 Prozent
Riester-Rente: 3,56 Prozent
Basis-Rente: 3,57 Prozent.
Über alle Vertragstypen errechnete Assekurata einen Durchschnittswert von 3,64 Prozent.