WienHerr Hagen, seit wenigen Wochen sind Sie der Chef eines der großen Versicherer in Zentral- und Osteuropa. Starten Sie jetzt mit der großen Revolution im Unternehmen?

Das sicherlich nicht. Über dem Vorstandswechsel steht der Begriff der Kontinuität. In Zeiten der Krise verlangen Kunden gerade von einem Versicherer Sicherheit und Stabilität. In den vergangenen 20 Jahren sind wir zudem immer über dem Markt gewachsen, waren erfolgreich. Im operativen Geschäft müssen wir jetzt also nicht viel anders machen.

Wie demonstrieren Sie Stabilität nach außen?

Indem wir die Ergebnis-Schwankungen so niedrig wie möglich halten. Das eigentliche Versicherungsgeschäft ist von sich aus schon vergleichsweise stabil. Also müssen wir vor allem unser Investmentgeschäft, unsere Finanzanlagen, vor größeren Schwankungen bewahren.

Wie macht man das? Indem man langweilig und nicht sonderlich sexy für die Finanzmärkte wirkt?

Das muss kein schlechtes Zeichen sein. Die Bank of America hat unsere Aktie vor wenigen Tagen als Allwetter-Titel bezeichnet, der auch größeren Krisen standhält. Das ist eine Bestätigung für unsere konservative Anlagepolitik. Wir wollen keine besonderen Risiken eingehen und erwarten deshalb auch keine übermäßige Rendite. Wir haben zum Beispiel kaum etwas in den Problemstaaten der Euro-Zone gekauft. Zudem sind wir grundsätzlich nur in Euro und in den Währungen osteuropäischer Länder investiert.

Überall fallen die Zinsen und die Risiken in der Anlagestrategie nehmen zu. Was machen Sie für Ihre Kunden in der Lebensversicherung?

Im Unterschied zu Deutschland liegt die Garantieverzinsung hier in Österreich etwa einen halben Prozentpunkt niedriger. Von daher können wir das Problem sicherlich mit etwas mehr Gelassenheit angehen. In zehn bis fünfzehn Jahren würde die niedrige Verzinsung allerdings auch für uns zu einem veritablen Thema.

Und was ist mit der Sicherheit, flüchten Sie auch ins Betongold?
Wir werden sicherlich auch stärker in die Immobilien gehen. Zentral- und Osteuropa ist für uns dabei interessanter als Objekte in westlichen Ländern. Wir kennen uns im Osten aus. Wir wissen genau, wo es attraktive Lagen gibt. Deshalb stört uns der Einbruch auf den osteuropäischen Märkten überhaupt nicht. Anders formuliert: Das Zentrum von Prag wird auch weiterhin das Zentrum von Prag bleiben.

Sie sind nach Osteuropa gegangen, weil die Wachstumsperspektiven auf dem Heimatmarkt bescheiden waren. Jetzt sind die großen Zuwächse auch im Osten nicht mehr zu erwarten. Was machen Sie?
Die Sättigung der Märkte in Osteuropa ist ein relativer Begriff. Geographisch mag das vielleicht stimmen, weil wir inzwischen in praktisch allen Ländern vertreten sind. Aber in der gesamten Region gibt es noch so viel für uns zu tun, da ist die Expansion noch lange nicht abgeschlossen.

 

Sie glauben an ungebrochen hohe Wachstumsraten im Osten?

Zumindest an höhere Wachstumsraten als in Westeuropa. Nur ein Beispiel: In der Ukraine liegen die Pro-Kopf-Ausgaben für die Lebensversicherung jährlich bei gerade einmal zehn US-Dollar. Bei der großen Bevölkerungszahl des Landes bedeutet eine Verdoppelung auf 20 Dollar ein zusätzliches Prämienvolumen von 500 Millionen Dollar. Das sind Beträge, von denen man im Westen nur träumen kann.

 

Ihre Vertreter sollen in Osteuropa also jetzt erst richtig mit dem Klinkenputzen beginnen?

Das ist negativer Begriff aus dem westeuropäischen Geschäft. In Zentral- und Osteuropa haben wir eher das Problem, dass wir unsere Kunden überhaupt erreichen. Es gibt in der Region nicht das Image des lästigen Versicherungsvertreters. Deshalb lässt sich dort noch eine ganze Menge machen.

Was haben Sie vor?

Der Vertrieb über unseren Bank-Partner Erste Group lässt sich sicherlich noch intensivieren. Wer als Kunde seine Bank besucht, kann auch schnell seine Hausratversicherung auf den aktuellen Stand bringen und die Versicherungssumme erhöhen. Denn das ist noch ein anderes Thema nach 20 Jahren Ostöffnung: Die Verträge sind inzwischen veraltet und müssen erneuert werden. Das betrifft auch das Autogeschäft, wo eine riesige Generation von Altfahrzeugen ausgetauscht wird. Deshalb müssen wir beispiels-weise jetzt ganz aktiv bei den Gebrauchtwagenhändlern präsent sein, um dort die Versicherungsverträge zu bekommen.

Und was ist mit Zukäufen anderer Versicherer?

Klar, wo sich Lücken auftun, sind wir dabei. In Ungarn beispielsweise könnten wir sicherlich noch etwas dazunehmen. Wir fischen traditionell im kleineren und mittelgroßen Bereich – auch deshalb, weil es die ganz großen Möglichkeiten zum Zukauf nicht gibt. Vielleicht zieht sich noch der eine oder andere größere westliche Konkurrent aus Osteuropa zurück. Aber derzeit sieht das nicht danach aus.

Gibt es vielleicht doch noch grundsätzlich strukturelle Themen in Osteuropa?

Natürlich, die Krankenversicherung, die überall noch in staatlicher Hand ist. Aber langsam beginnt die Demonopolisierung, am ehesten wahrscheinlich in Polen und Tschechien. Wenn es dort losgeht, könnten wir sofort starten. Andere Länder werden dann etwas später folgen. Die genauen Strukturen der Marktöffnung sind allerdings noch nicht ganz klar. Eine völlige Privatisierung wird es wahrscheinlich nicht geben. Das deutsch-österreichische Modell hat gute Chancen: Eine Grundversorgung für die unteren Einkommensklassen, für Höherverdiener gibt es dann private Versicherungen. Eine komplette private Krankenversicherung wäre wahrscheinlich schon aus sozialen Gründen politisch nicht durchsetzbar und aus meiner Sicht nicht sinnvoll.

Konkurrenten wie die Allianz setzen auf Russland. Sie sind dort nur schwach vertreten. Warum?

Wir sind der Ansicht, dass wir dieses Geschäft schlicht nicht beherrschen. Deshalb sind wir dort so viel zu-rückhaltender als die Konkurrenz.

Ist das nicht ein unternehmerischer Offenbarungseid: Sie verzichten freiwillig auf Expansion?

Nein, das ist unternehmerische Weitsicht. Als Unternehmen muss man auch wissen, was man nicht kann. Wir kommen aus Österreich, einem kleinen Land. Deshalb konzentrieren wir uns lieber auf die kleineren Märkte in der Region. Russland ist von seiner Komplexität und von seiner Größe her kaum beherrschbar.

Sind fehlende Rechtssicherheit und Korruption die wahren Gründe?

Mit der Rechtssicherheit ist es in Russland sicherlich viel schwieriger als in den vorgelagerten Ländern. Man darf nicht vergessen: Den Großteil unseres Ostgeschäfts machen wir in Staaten, die zur EU gehören. Damit gibt es ein gewisses Grundkorsett an Spielregeln.

Andere Unternehmen sind da nicht so wählerisch, auch viele westliche Banken sind in Russland vertreten.

Vielleicht sind die Banken mutiger als ein Versicherer. Das muss jedenfalls jedes Unternehmen für sich selbst entscheiden. Ich habe allerdings meine Zweifel, ob einer der großen internationalen Versicherer in Russland jemals richtig Geld verdient hat.

In der Ukraine und in Weißrussland sind sie auch vertreten, beides keine Länder mit hohen demokratischen Standards.

Diese beiden Fälle sind anders als Russland gelagert. In der Ukraine werden wir sicherlich noch eine ganze Menge machen. Ungeachtet aller sicher richtigen politischen Themen hat die aktuelle Regierung hat dafür gesorgt, dass die Strukturen dort viel berechenbarer geworden sind und in Weißrussland haben wir eine kleine Repräsentanz. Dort sind die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – um es freundlich zu sagen – jedenfalls stabil.

Die Finanzkrise hat Sie vergleichsweise ungeschoren gelassen?

So kann man das nicht sagen. Uns hat die Krise etwas später erreicht, das beschreibt die Lage richtig. Wir wachsen zwar stärker als der Markt. Aber die Wachstumsraten insgesamt sind heute viel niedriger als zu Beginn der Finanzkrise.

Sie kommen jetzt mit dem großen Besen und wollen die Kosten drücken?

Nicht unbedingt. Wir befinden uns heute wahrscheinlich auf einem Plateau nach einigen Jahren starken Wachstums. Diese Pause muss man zwar jetzt für ein gewisses ‚Housekeeping‘ nutzen, bevor es wieder nach oben geht. Aber große Kostenprogramme sehe ich bei uns nicht. Auf die Kosten achtet man immer, das ist unternehmerisches Grundprinzip. Auf der Ertragsseite müssen wir genauso etwas machen: Das sind etwa die bereits erwähnten intensiveren Schritte auf der Vertriebsseite.

Herr Hagen, vielen Dank für das Gespräch.

 

Peter Hagen ist Vorstandsvorsitzender der Vienna Insurance Group.