Die Seitenhiebe an die Konkurrenz sind an diesem Tag unüberhörbar. „Es kann gut sein, dass wir in diesem Jahr nicht mit Wachstum über dem Markt aufwarten“, sagt Karten Eichmann, der Vorstandschef der Gothaer Versicherungsgruppe mit sichtlicher Gelassenheit. Er selbst könne in Zeiten wie diesen durchaus auch mal abwarten. Die Aussage dahinter ist eindeutig: Einige Wettbewerber hatten zuletzt vor allem wegen der extrem niedrigen Zinsen versucht, mit günstigen Konditionen Wachstum zu „erkaufen“. Er selbst hat einen anderen Fokus: Die Stärkung der Ertragskraft.
Das ist ihm im vergangenen Jahr bereits gelungen. Der Jahresüberschuss stieg im Konzern um mehr als 17 Prozent auf 162 Millionen Euro. Dagegen sanken die Bruttobeiträge um über zwei Prozent auf 4,411 Milliarden Euro. Für Eichmann kein Grund zur Sorge. Die grobe Richtung ist schon seit geraumer Zeit verabschiedet.

„Gothaer 2020“ heißt das Projekt, das im Wesentlichen aus der angesprochenen Stärkung der Ertragskraft, dem Ausbau der digitalen Angebote und Infrastruktur sowie einer veränderten Mitarbeiterstruktur bestehen soll. Dafür soll die Zahl von den aktuell noch etwa 5700 Mitarbeitern um jeweils etwa 200 in den kommenden drei Jahren sinken. Diejenigen, die bleiben, sollen ihre Veränderungsfähigkeit an die neue Umgebung auch deutlich zeigen.
Der Hintergrund ist klar. Im Vergleich zu vielen anderen Branchen haben die Versicherer in den vergangenen Jahren das Thema Digitalisierung eher zögerlich angegangen. „Der Druck zur Kundenorientierung war bisher bei den Versicherern nicht da. Und genau hier, in der Kundenschnittstelle, greifen jetzt viele Insurtechs an und suchen gnadenlos nach Schwachpunkten“, beobachtet Christian Mylius, Berater bei EY Innovalue, sehr häufig in der Branche.

Bei der Gothaer glauben sie, hier rechtzeitig gegengesteuert zu haben. Wenn auch hier wieder mit einem anderen Weg als mancher Wettbewerber. „Die einen machen eine App und nennen es Digitalisierung, die anderen pumpen schon seit Jahren Geld nach Berlin“, wertet Eichmann die Strategie mancher Wettbewerber, die sich seit geraumer Zeit mit größeren Summen an aufstrebenden Insurtechs in der Hauptstadt beteiligen.

Er selbst kooperiert lediglich mit diesen Unternehmen. Das wurde bereits vor drei Jahren so entschieden. „Stattdessen sind wir jetzt in der Zweitverwertungsphase unterwegs“, drückt es Eichmann aus. Viele hochtrabende Erwartungen von einst hatten sie schließlich im Praxischeck als gar nicht so tauglich erwiesen. Jetzt beginne die nächste Phase.
Deswegen sind sie bei der Gothaer vor wenigen Tagen dem Insurlab Germany beigetreten, einer neu gegründeten Initiative in Köln aus IHK, Technischer Hochschule, Universität und der Stadt. Die Start-up-Szene und die durchaus vielfältige Versicherungsbranche in der Stadt sollen dort vernetzt werden. Den dort oft zu hörenden Satz, dass Köln das neue Berlin sei, gibt Eichmann an diesem Tag unkommentiert so weiter.
Beim Blick in die einzelnen Sparten Sachversicherung, Leben/Kranken und der Vermögensverwaltung gleichen die Themen denen, die derzeit in der Branche häufig zu hören sind. In der Sachversicherung verspricht man sich natürlich vom Thema Cyberversicherung großes Wachstum. Wenn auch die absolute Zahl an Abschlüssen, die seit Einführung des Produktes für Gewerbekunden Anfang des Jahres erst im niedrigen einstelligen Bereich liegt.
Christopher Lohmann, fast zwei Jahrzehnte in Diensten der Allianz und seit April Chef der Sachsparte bei der Gothaer, ist dennoch optimistisch. Schließlich wurde das neue Produkt zuallererst langjährigen Bestandskunden mit mindestens fünf Millionen Euro Jahresumsatz angeboten. Künftig sollen auch Kleinunternehmer und Freiberufler folgen. „Seit der Hacker-Attacke Wannacry in der vorletzten Woche gehen wir in Anfragen unter“, berichtet er.

Zum Marktführer haben es die Kölner indes längst als Spezialversicherer für Windkraftanlagen gebracht. Schon früh haben sie sich auf dieses Thema spezialisiert. Mittlerweile haben sie 17 500 Anlagen im Bestand. Allein im vergangenen Jahr ist die Zahl um sieben Prozent gestiegen.
Windkraft ist bei der Gothaer indes nicht nur ein Versicherungsobjekt, sondern auch als Anlageobjekt interessant. 383 Millionen Euro haben sie bislang in Windparks investiert und damit mehr als in Photovoltaik (251 Millionen Euro) und Wasserkraft (84 Millionen Euro). Dabei haben sie neuerdings sogar in Offshore-Windparks, also solche im Meer, investiert. „Die Risiken dort hat man jetzt im Griff“, sieht Finanzvorstand Harald Epple hier größere Veränderungen. Etliche andere Versicherer investieren wegen des geringeren Risikos noch immer lediglich in Onshore-Windparks, also solche an Land.

Im Bereich Leben und Krankenversicherung ist zudem die Neuausrichtung in vollem Gange. Lag der Anteil der klassischen Lebensversicherung mit Zinsgarantie vor drei Jahren noch bei 41 Prozent, so waren es im vergangenen Jahr nur noch 31Prozent. Geht es nach Michael Kurtenbach, den Vorstandschef für diesen Bereich, dann geht der Wandel in Richtung zu mehr fondsgebundenen Produkten in diesem Tempo weiter. Im vergangenen Jahr lag der Anteil schon bei 38 Prozent. Trotzdem ist der Umsatz in dieser Zeit um knapp sechs Prozent auf knapp 1,2 Milliarden Euro gesunken.

Was vor allem an der Einstellung des bisherigen Einmalproduktes liegt. „Das hatte für manche Kunden den Charakter eines Festgeldgeschäftes“, berichtet Kurtenbach. Aber die Gothaer sei weder eine Bank noch eine Sparkasse. Im Herbst soll es dann wieder ein Lebensversicherungsprodukt geben, bei dem der Beitrag in einer Summe gezahlt werden kann. Dann aber „kapitaleffizient“. Also so, dass es sich auch für die Gothaer rechnet.

Fonte:
Handelsblatt