Der Vorstoß kam in aller Stille, die deutschen Versicherer waren nicht vorgewarnt. Mit 90 Vorstandsmitgliedern und ihren Partnern fiel der französische Versicherungsverband Réunion des Organismes d’Assurance Mutuelle (ROAM) am Wochenende in Berlin ein. Die Damen und Herren veranstalteten im vornehmen Hotel de Rome ihre Jahrestagung und erhoben politische Forderungen.
Das Gespräch mit deutschen Kollegen aus der Branche suchten sie nicht – wohl aber mit der Presse. Das hat Gründe. Die Beziehungen zwischen den Franzosen und den deutschen Versicherungsvereinen auf Gegenseitigkeit sind frostig. “Vielleicht haben die Deutschen Angst vor der Konkurrenz”, sagt Jean-François Allard von der Architektenversicherung MAF.
Versicherungsvereine haben in Frankreich eine noch größere Tradition als in Deutschland. ROAM vertritt seit 1855 regionale Gesellschaften und Fachversicherer – die MAF schützt Architekten vor Haftpflichtansprüchen, der Spezialanbieter MACSF schützt Ärzte gegen Folgen von Behandlungsfehlern. Der kleinste der 45 Versicherer hat 629 Mio. Euro Prämie, der größte 13,7 Mrd. Euro.
Den Unternehmen geht es wirtschaftlich gut, aber sie haben politische Probleme. Die EU will das neue Regelwerk Solvency II einführen. Die Franzosen betreiben die Website Stopptsolvency2. “Natürlich machen wir uns Sorgen”, sagt Präsident Olivier Désert. “Unser Hauptproblem ist, dass die Regeln immer noch nicht feststehen.” Schließlich könnten Vereine keine Kapitalerhöhung durchführen. ROAM will lange Übergangsfristen bei den Kapitalanforderungen.
Auch die mit Solvency II geplanten strengen Anforderungen an die Qualifikation von Vorständen und Verwaltungsräten schmecken den Franzosen nicht. “Wenn ein Arzt oder ein Apotheker in den Verwaltungsrat seines Versicherers gewählt wird, ist er qualifiziert”, entrüstet sich ROAM-Generalsekretärin Marie-Hélène Kennedy.
Beim Dauerthema Solvency II könnten die meisten deutschen Versicherungsvereine den französischen Kollegen zustimmen. Streit gibt es in einer anderen Kernfrage. ROAM dringt auf die Einführung einer neuen Rechtsform, eines europäischen Versicherungsvereins – analog zur Europa-AG, der Societas Europaea. “Dann könnten wir Versicherungsvereine von Berufsgruppen über Ländergrenzen hinweg organisieren”, sagt Marcel Kahn von der MACSF.
Sein Architektenkollege Allard betreibt in Deutschland eine Tochter – in der Form der Aktiengesellschaft. “Wir möchten lieber eine Form, in der alle Versicherten Mitglieder sein können”, sagt er. Erst dann gebe es Gleichheit mit den Kapitalgesellschaften. Die deutschen Vereine dagegen lehnen den Europa-Verein ab. Sie wollen den bewährten Rahmen des deutschen Rechts nicht aufgeben.
Ein möglicher Grund: Die Franzosen bestehen darauf, dass alle Mitglieder bei der Wahl ihrer Vertreter eine Stimme haben. In Deutschland sind viele Vereine anders organisiert. Die Vertretungen wählen Delegierte selbst. Die Versicherten werden nicht befragt. Das können sich die Franzosen nicht vorstellen.