Sieben Monate nach dem Selbstmord von Zurich-Finanzchef Pierre Wauthier kritisiert seine Witwe den Umgang des Schweizer Versicherers mit der Tragödie. Im ersten ausführlichen Interview seit dem Tod ihres Mannes fordert Fabienne Wauthier im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Reuters eine vollständige Aufklärung der Umstände des Suizids. Aus ihrer Sicht gibt es noch viele offene Fragen, die das Unternehmen beantworten müsse.
„Es geht uns nicht um Geld oder Rache“, betonte die Französin. Die 55-Jährige kündigte an, dass sie am Mittwoch mit ihrer Tochter und weiteren Familienangehörigen an dem Aktionärstreffen des Unternehmens teilnehmen werde. Dort wolle sie ihre Betroffenheit darüber zum Ausdruck bringen, wie die Untersuchung des Selbstmordes abgelaufen sei.
Sie sei nicht zufrieden mit der Prüfung durch die Anwaltskanzlei Homburger im Auftrag der Schweizer Finanzmarktaufsicht FINMA, sagte Wauthier. Diese war zu dem Ergebnis gekommen, dass der Finanzchef bei Zurich Insurance nicht übermäßig unter Druck gestanden habe. Mit ihr selbst habe Homburger nie Kontakt aufgenommen, kritisiert die Witwe. Zurich muss sich damit auf unangenehme Fragen auf der Generalversammlung einstellen.
Der Versicherer Zurich Insurance wies die Vorwürfe zurück, der Selbstmord seines früheren Finanzchefs Pierre Wauthier sei nicht ausreichend untersucht worden. „Auch wenn wir nie erfahren werden, was Pierre Wauthier zu seinem tragischen Entschluss brachte: Ich finde es wichtig und bin dankbar, dass die zuständigen Behörden und wir seine Tat sehr gewissenhaft und abschließend untersucht haben“, sagte Zurich-Verwaltungsratspräsident Tom de Swan am Mittwoch auf der Aktionärsversammlung des größten Schweizer Versicherers.
Der 53-jährige Manager hatte Ende August Selbstmord begangen. In einem Abschiedsbrief warf er dem damaligen Zurich-Verwaltungsratschef Josef Ackermann vor, ein unerträgliches Arbeitsklima geschaffen zu haben. Ackermann nahm drei Tage später seinen Hut als Präsident des Unternehmens. Er bezeichnete Wauthiers Selbstmord als sehr tragisches Ereignis. Eine Mitverantwortung für Wauthiers Tod wies der ehemalige Deutsche Bank-Chef von sich.
Die Witwe fordert, Zurich solle prüfen, ob die damalige Untersuchung vollständig gewesen sei. Zudem müsse geklärt werden, warum Ackermann zurücktrat, obwohl er sich keiner Schuld bewusst gewesen sei. Wissen wolle sie auch, warum Einzelheiten über Spannungen am Arbeitsplatz nie öffentlich gemacht worden seien. Schließlich habe Zurich versprochen, allen Punkten nachzugehen, die Wauthier in seinem Abschiedsbrief aufgeführt hatte.
„Wir sind immer noch sehr traurig und sehr betroffen von dem, was vorgefallen ist und werden die genauen Beweggründe für seine unwiderrufliche Entscheidung nie kennen“, sagte ein Zurich-Sprecher zu den Aussagen Fabienne Wauthiers. Heinz Schaerer, Seniorpartner bei Homburger, lehnte eine Stellungnahme ab. Auch bei der FINMA wollte sich niemand zu den Details der Untersuchung äußern.
In dem mehr als vier Stunden dauernden Interview im Haus der Familie Wauthier in Walchwil am Zuger See stellte die Witwe aus ihrer Sicht die Ereignisse dar, die zum Tod ihres Mannes führten. Dabei nannte sie bisher nicht bekannte Einzelheiten. Mehr als ein Dutzend Personen, die eng mit Wauthier zusammengearbeitet haben, darunter Ackermann, lehnten eine Stellungnahme ab. Reuters konnte die Angaben der Witwe daher nicht weiter überprüfen.
Bereits im Juni 2013 sei ihr Mann wegen der Atmosphäre beiZurich desillusioniert gewesen, sagte Wauthier. Er habe überlegt, ob er seine Stelle aufgeben solle, die er lange als seinen „Traumjob“ betrachtet hatte. Er habe beschlossen, sich unauffällig nach Alternativen außerhalb des Unternehmens umzusehen. Im Juli habe er mit der Personalabteilung gesprochen, die von Wauthiers direkten Mitarbeitern darauf aufmerksam gemacht worden sei, dass der Finanzchef unter übermäßigem Stress leide. In dem Gespräch habe Wauthier erklärt, er spüre Druck, hoffe aber, sich in den kurz bevorstehende zweiwöchigen Sommerferien erholen zu können. „Wir hatten im Vorfeld keinerlei Hinweise, die auf einen solchen Schritt von Pierre hingedeutet hätten. Ansonsten hätten wir umgehend Maßnahmen ergriffen“, sagte der Zurich-Sprecher.
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m August kam es nach Angaben aus Firmenkreisen zu einem Streit zwischen Ackermann und seinem Finanzchef. Es ging um die Frage, wie genau die Finanzziele im Kontext mit dem Zwischenbericht für das zweite Quartal dargestellt werden sollten. Wauthier präsentierte dann Mitte August die Quartalszahlen in gewohnt professioneller Art und Weise. Zu diesem Zeitpunkt hatte er aber nach den Worten seiner Witwe bereits beschlossen, Zurich zu verlassen. Eine neue Stelle habe er indes noch nicht gehabt. Angesichts der hohen Arbeitsbelastung habe er nie Zeit gefunden, sich um einen anderen Job zu kümmern. Dennoch habe er kündigen wollen.
Wenige Stunden vor seinem Selbstmord soll er seiner Frau, die zu dem Zeitpunkt in Los Angeles bei ihrem Sohn war, dann gesagt haben, es sei nicht der richtige Moment für eine Kündigung. Er wolle ein „Quartal mit guten Ergebnissen“ abwarten, bevor er bei Zurich ausscheide. In der fast einstündigen Unterhaltung habe ihr Mann keine Anzeichen gezeigt, dass er so verzweifelt sei, um Selbstmord zu begehen, erklärte sie. Einen Tag später war Pierre Wauthier tot.