Wenn die Aktienmärkte mal wieder verrückt spielen oder die Renditen für spanische Staatsanleihen durch die Decke gehen, muss Jörg Schneider nur aus dem Fenster schauen. Das Büro des Finanzvorstands der Munich Re liegt direkt am Englischen Garten.

Da verschafft ein Blick auf das grüne Idyll die notwendige Ruhe und Gelassenheit, um einen Finanzkonzern mit Kapitalanlagen von mehr als 200 Milliarden Euro durch turbulente Zeiten zu steuern. “Wir werden in keinem Szenario der große Sieger sein. Wir sollten aber auch in keinem halbwegs realistischen Szenario in Schwierigkeiten geraten”, sagt Schneider im Gespräch mit dem Handelsblatt.

Mit dieser vorsichtigen Anlagestrategie kam der Rückversicherer so gut durch die Finanzkrise wie kaum ein anderer großer Konzern. In den düsteren Zeiten war die Munich Re der unumstrittene Klassenprimus. Für einen Tag, erinnert sich Schneider, war die Munich Re an der Börse sogar mehr wert als der große Bruder von nebenan: die Allianz.

Auch der große Erzrivale Swiss Re lag geschwächt danieder, hatte sich mit spekulativen CDS-Papieren verzockt. Die Zeit der Alleinherrschaft aber ist vorbei. Die Munich Re steht vor einer neuen Herausforderung: Sie muss zeigen, dass sie auch in normalen Zeiten die Beste ist. Vielleicht muss sie die Risikozügel ein wenig lockern, wenn nun Wachstum und große Gewinne gefragt sind – auch, wenn der vorsichtige Schneider das vielleicht nicht so gern hört.

Ein Blick auf die Bilanz des vergangenen Jahres zeigt bereits, dass die totale Dominanz vorbei ist. Die Feuerprobe hat die Munich Re zwar einmal mehr bestanden: Selbst in einem Jahr mit Staatsschuldenkrise und Rekord-Naturkatastrophen – das Erdbeben von Japan war nur die teuerste in einer ganzen Reihe – schaffte es die Munich Re in die schwarzen Zahlen und hielt die Dividende stabil.

Doch die Konkurrenz schläft nicht. Sie ist wieder erwacht, um genauer zu sein. Vor allem ist die Swiss Re wieder da: Im vergangenen Jahr verdiente der Konzern 2,6 Milliarden Dollar – und damit deutlich mehr als die Munich Re mit ihren 710 Millionen Euro.

Nun spielten dabei Sonderfaktoren eine Rolle. So lösten die Schweizer im größeren Umfang Reserven auf. Doch es besteht kein Zweifel daran, dass die Swiss Re auch im Kerngeschäft der Rückversicherung mindestens wieder auf Augenhöhe mit den Münchener Konkurrenten ist. Die Zeiten, als die Schweizer Geschäft abgeben mussten, um zu konsolidieren, sind vorbei. Bei der weltweiten Nummer drei – der Hannover Rück – brach der Gewinn 2011 zwar um ein Fünftel ein.

Doch mit einem Ergebnis von gut 600 Millionen Euro verdiente die Hannover Rück fast so viel wie die Munich Re. Und das, obwohl die Münchener nach Prämieneinnahmen gerechnet viermal so groß sind. “Bei der Eigenkapitalrentabilität ist die Hannover Rück weltweit führend”, lobt Stefan Bongardt, Analyst bei Independent Research. In Sachen Ertragskraft also war die Munich Re im vergangenen Jahr nicht ganz überzeugend.

Natürlich: Das lag vor allem an der ungewöhnlichen Häufung von Naturkatastrophen. Die Erdbeben in Neuseeland und Japan, die Überschwemmung in Thailand, Tornados in den USA und andere Katastrophen belasteten das Ergebnis mit 4,5 Milliarden Euro – dreimal so viel wie in einem normalen Jahr. Wenn es nicht wieder so eine Katastrophenserie gibt, wird die Munich Re in diesem Jahr deutlich mehr Geld verdienen.

Ein Ergebnis von 2,5 Milliarden Euro peilt Konzernchef Nikolaus von Bomhard an. Möglich wird dies auch durch Preiserhöhungen – wie nach großen Katastrophen üblich. So konnte die Munich Re bei der Erneuerung von Erdbebendeckungen in Japan Anhebungen von bis zu 50 Prozent durchsetzen. In Neuseeland und Australien konnte sie die Preise sogar teilweise verdoppeln.

Die Munich Re sollte in diesem Jahr also zu alter Ertragsstärke zurückkehren. Doch große Gewinnsprünge nach oben sind nicht drin. Das Gewinnpotenzial ist angesichts des konservativen Geschäftsmodells und der begrenzten Wachstumsfantasie gedeckelt. “An einen Gewinn von fünf Milliarden Euro glaube ich in den nächsten Jahren nicht”, sagt selbst Schneider und verweist auf das aktuelle Zinsumfeld.

Auch Analyst Bongardt meint: “Große Ergebnistreiber können wir nicht erkennen.” Immerhin konnte die Munich Re beim Wachstum zuletzt durchaus überzeugen: Der Konzernumsatz legte 2011 um neun Prozent auf 49,6 Milliarden Euro zu. Zum Vergleich: Die Swiss Re wuchs nur einen Tick schwächer um acht Prozent auf 21,3 Milliarden Dollar.

 

Bei der Hannover Rück betrug der Zuwachs knapp sechs Prozent auf gut zwölf Milliarden Euro. Angetrieben wurde das Wachstum bei der Munich Re vor allem von den Rückversicherungssegmenten Leben und Schaden/Unfall. Die riesige Wachstumsstory gibt es bei dem Geschäftsmodell aber nicht.

Neue Produkte wie Performance-Garantien bei erneuerbaren Energien oder Landwirtschaftsversicherungen sind noch Nischen, doch geben sie Zukunftshoffnung. Die Erstversicherung stagnierte dagegen – die Tochter Ergo ist zu stark auf das Inland fokussiert und hat verschiedene Affären am Hals, die aber nun weitgehend aufgearbeitet sind.

Ein Sonderfall ist noch immer die Gesundheitssparte Munich Health. Die Einheit wuchs zwar mit einem Beitragsplus von gut 19 Prozent auf 6,1 Milliarden Euro zuletzt überproportional. Sie ist aber noch immer deutlich kleiner als die Erst- und die Rückversicherung. Der Gewinn ist mit 45 Millionen Euro ebenfalls weiterhin bescheiden.

Auch wenn die Gesundheitssparte Fortschritte bei der Profitabilität machen sollte: Wichtiger wird in den nächsten Jahren das Kapitalanlageergebnis bleiben. Mit ihrer konservativen Linie verpassten Schneider und die Kollegen von der Kapitalanlage da leider in großen Teilen die Börsenrally im ersten Quartal. Zudem musste der Konzern im vergangenen Jahr fast 1,2 Milliarden Euro auf griechische Staatsanleihen abschreiben, während die Swiss Re sich hier bei Engagements zurückgehalten hatte.

Immerhin erreichte die Munich Re noch eine Rendite von 3,4 Prozent auf die Kapitalanlagen. Alle diese Werte sind solide. So richtig Fantasie bei den Kapitalanlegern wecken sie aber auch nicht. Mit dem Begriff Fantasie könne er sowieso nicht viel anfangen, sagt Schneider. “Das klingt zu sehr nach Träumerei.”

Vielleicht werde es ja langfristig honoriert, dass sich Aktionäre und Kunden in den düstersten Tagen der Finanzkrise keine Sorgen um die Munich Re machen mussten. Doch so ganz sicher ist sich Schneider da nicht: “Ich habe neulich einen Spruch gehört: Es gibt Investoren mit kurzem Gedächtnis – und es gibt Investoren ohne Gedächtnis.”