Die Niedrigzinsen nehmen den deutschen Lebensversicherern zunehmend die Luft zum Atmen. Auf die Branche kommen nach Ansicht ihres obersten Aufsehers in diesem Bereich deutlich höhere Sonderrückstellungen zu. „In diesem Jahr wird die Zinszusatzreserve sicher nicht sinken“, sagte Frank Grund, der seit Oktober 2015 amtierende Exekutivdirektor der Versicherungsaufsicht beim Bundesamt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin). Er rechne vielmehr mit einem „signifikanten“ Anstieg. „2018 und 2019 kommt dann noch ein zusätzlicher Schub dazu.“ Die Versicherer müssten sich also auf eine lange Niedrigzinsphase einstellen. „Alles andere wäre fahrlässig.“

Die deutschen Lebensversicherer haben auf Geheiß der Bafin allein 2015 gut zehn Milliarden Euro zurückgestellt, um ihre Zinsversprechen aus Hochzinszeiten noch erfüllen zu können. Seit 2011 summiert sich diese Zinszusatzreserve auf 32 Milliarden.

Das bringt einige Versicherer allmählich an ihre Grenzen, wie Grund einräumt. „Als Medizin ist sie auch völlig richtig“, sagte er. Sie werde aber „zunehmend anspruchsvoll“ für die Versicherer. „Bei ihrer Einführung hätte niemand mit einer so langen Niedrigzinsphase gerechnet. Wir halten die Belastung noch für vertretbar, sehen uns das aber genau an.“

Locker lassen will Grund aber nur in Extremfällen: „Wenn ein Unternehmen es nicht mehr schafft, seine Verpflichtung vollständig zu erfüllen, kann die Bafin in begründeten Einzelfällen gegebenenfalls unterstützend eingreifen. Wir würden das aber nur machen, wenn es im langfristigen Interesse der Versicherten ist.“ Zunächst sei jede Gruppe selbst an der Reihe, ihren Lebensversicherer zu stützen – auch wenn das große Kraftanstrengungen koste.

Die Einführung der neuen, stärker am Risiko orientierten EU-Eigenkapitalvorschriften (Solvency II) zum Jahresbeginn haben die meisten deutschen Versicherer offenbar gut bewältigt. Große Überraschungen seien nicht zu erwarten, wenn im Mai die ersten ausführlichen Unternehmensdaten einträfen. „Sie haben schon einiges getan, um ihre Eigenmittel zu stärken“, lobte Grund. Vor zwei Jahren hatte die Bafin von „mehr als einer Handvoll“ Firmen gesprochen, die mit Solvency II Probleme hätten. „Die Zahl hat sich seit 2014 nicht erhöht“, berichtete der Chef-Aufseher. Die betroffenen Unternehmen könnten Übergangsregeln nutzen, müssten der Bafin aber „ein schlüssiges Konzept vorlegen“, wie sie „in die neuen Eigenmittelanforderungen hineinwachsen“ wollten.

Einige Lebensversicherer erwägen, die Reißleine zu ziehen, aus dem Neugeschäft auszusteigen und ihre Vertragsbestände zu verkaufen, wie es in Großbritannien seit Jahren gang und gäbe ist. Unter anderem die von der Hannover Rück und dem Finanzinvestor Cinven gegründete Heidelberger Leben lauert darauf, mehr solcher Bestände aufzukaufen. Das aber muss die Bafin genehmigen – die Frankfurter Leben des chinesischen Investors Fosun und der BHF-Bank warten noch darauf.

Grund sieht solche Pläne skeptisch: „Ich glaube, dass das in Einzelfällen eine Möglichkeit sein könnte, aber nicht für die ganze Branche. Ich halte es für fraglich, ob eine Konsolidierung durch Übernahme von Beständen die Probleme der Branche löst.“ Mehrere Bestände zusammenzuführen, sei zunächst sehr aufwändig, die erhofften Größenvorteile seien unsicher. Die Interessen der Versicherungsnehmer stünden für die Aufsicht an erster Stelle, betonte Grund, der lange selbst als Manager in der Branche tätig war. „Die Bafin kann nur Lösungen akzeptieren, bei denen kein Versicherter schlechter gestellt wird.“

Zunächst sollten die Firmen selbst an der Kostenschraube drehen. Die Kosten für den Abschluss einer Lebensversicherung, zu denen vor allem die Provisionen für die Vermittler gehören, müssten sinken – „und zwar signifikant“, forderte Grund. Das erwarte der Gesetzgeber und das liege auch im Interesse der Branche.

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