Die großen und international tätigen Versicherer können aufatmen. Im Gegensatz zu den Banken wird ihr Kerngeschäft nicht mehr öffentlich als Gefahr für das Finanzsystem gebrandmarkt. Die Aufseherorganisation IAIS gehe davon aus, dass das klassische Versicherungsgeschäft kein Systemrisiko darstelle, bestätigte die deutsche Finanzaufsicht Bafin auf Anfrage des Handelsblatts.
Der Grund: Größe und die Spannbreite der weltweiten Versicherungsaktivitäten liefern für die Aufseher keine entscheidenden Hinweise auf ein mögliches Systemrisiko. Dies habe die 1994 gegründete internationale Vereinigung der Versicherungsaufsichtsbehörden IAIS festgestellt, jubelt die Versichererorganisation Geneva Association.
Die IAIS repräsentiert rund 190 Versicherungsaufsichtsbehörden aus mehr als 140 Ländern und ca. 120 Organisationen mit Beobachterstatus. Dies entspricht etwa 97 Prozent des internationalen Versicherungsmarktes bezogen auf das Prämienvolumen.
Die Aufseher wollten eigentlich eine Liste mit systemrelevanten Finanzinstituten aufstellen, in die auch Versicherer aufgenommen werden sollten. In Deutschland hätte dies womöglich, nach früheren Informationen des Handelsblatts, die beiden Branchengrößen Allianz und Munich Re betroffen.
Die Versicherer hatten sich dagegen – national wie international – heftig gewehrt. “Die Kernaktivitäten der Versicherer verursachen kein Systemrisiko”, lautete das Standardargument. Die Versichererorganisation Geneva Association stellte dies gelegentlich auch sehr öffentlichkeitswirksam fest, etwa vor einem Jahr in einem Offenen Brief an die Finanzminister und Notenbankchefs der zwanzig führenden Staaten (G 20).
Die Lobby-Tätigkeit wirkte: Die Vernetzung zwischen der Versicherungsbranche und den Banken sei „relativ begrenzt“, stellt die Geneva Association nun weiter mit Bezug auf die IAIS fest. In der Geneva Association sind die Vorstandschefs der weltweit wichtigsten Versicherer organisiert.
Auch die neue Präsidentin der deutschen Finanzaufsicht, Elke König, ist auf diese Linie bereits eingeschwenkt. „Versicherer funktionieren anders als Banken. Wenn sie fallen, dann fallen sie langsam, und die Gefahr, dass sie sich gegenseitig oder andere Teile des Finanzsektors mitreißen, scheint zumindest geringer“, stellte König vorige Woche fest.
Das Problem der Versicherer: In der Finanzkrise musste der amerikanische Versicherungsriese AIG gerettet werden. Die Schieflage verursachte dabei jedoch nicht das traditionelle Versicherungsgeschäft, sondern das Finanzgarantiegeschäft der Gruppe. Dies fällt nach Einschätzung der Aufseher eher in die Abteilung Schattenbanken.
Bafin-Präsidentin König sagte daher: „Im klassischen Versicherungsgeschäft kann ich ein systemisches Risiko, das mit dem des Bankgeschäfts vergleichbar wäre, nicht erkennen.“ Selbst für die Lebensversicherung gelte das nicht. Deren Risiken seien anders gelagert und ließen sich etwa mit einem Kapitalaufschlag handhaben. Das ist im Rahmen des neuen EU-Regelwerks Solvency II auch vorgesehen.
Das Thema „Systemgefahren bei Versicherern“ beschäftigt die IAIS-Aufseher gleichwohl weiter. Experten arbeiten an einer Methodologie, um etwaige systemisch relevante Versicherer zu erkennen. Im Frühjahr sollen die Erkenntnisse mit der Branche öffentlich diskutiert werden.
Angst müssen die Versicherer dabei jedoch nicht haben. Die neue Aufsichtschefin König, die früher selbst bei einem Versicherer arbeitete, baute schon vor: „Die BaFin ist Mitglied der IAIS und wird sich dort für eine vernünftige Lösung starkmachen.“
Auch die Branche selbst hat sich durch eine umfangreiche Studie noch mal in die weitere Debatte eingebracht. Schließlich ist allen Seiten daran gelegen, die Mechanismen einer Versicherungspleite besser zu verstehen.
Das Ergebnis ist jedoch aus Branchensicht schon klar, wie der Generalsekretär der Lobbyorganisation Geneva Association, Patrick Liedtke, festhält: „Die Analyse zeigt, dass die Abwicklung eines Versicherers ein stabiler Prozess ist und kein Systemrisiko verursacht.“ Zusammenbrüche von Versicherern benötigten nicht die gleichen Regierungsreaktionen wie Pleiten in anderen Teilen der Finanzbranche. Alle Versicherer seien verpflichtet, die nötige Vorsorge für künftige Forderungen zu treffen.