Dem Versicherungsunternehmen Debeka und dem Debeka-Vorstand um den Vorsitzenden Uwe Laue drohen wegen möglicherweise datenschutzwidriger Vertriebspraktiken Bußgelder in Millionenhöhe. Nach gemeinsamen Recherchen des „Handelsblatts“ (Volltext zum Download) und des ARD-Politikmagazins „Panorama“ vom NDR hat der zuständige Datenschutzbeauftragte von Rheinland-Pfalz, Edgar Wagner, bereits im Dezember ein Verfahren gegen die größte private Krankenversicherung Deutschlands eingeleitet.
Wagner sagte: „Wir mussten feststellen, dass Datenschutzvorschriften massiv verletzt wurden, nicht nur in Einzelfällen, sondern womöglich in tausenden von Fällen. Weil wir Zweifel haben, ob das Unternehmen alles getan hat, um solche Missstände zu verhindern, haben wir jetzt ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen die Debeka und den Vorstand eröffnet.“ Der Datenschutz könnte durch die Weitergabe von Daten neuer Beamter verletzt sein.
Den Vorstandsmitgliedern um den Vorsitzenden Uwe Laue droht laut Datenschützer Wagner daher ein Bußgeld von bis zu einer Million Euro. Der Debeka drohe zudem ein Bußgeld von bis zu zehn Millionen Euro. Das Unternehmen wollte sich dazu mit Hinweis auf das laufende Verfahren nicht äußern, betont aber, dass man die Ermittlungen unterstützen wolle.
Die Affäre um das Tippgebersystem der Debeka erreicht damit einen neuen Höhepunkt. Die Debeka hat tausende deutsche Beamte für die erfolgreiche Anbahnung von Versicherungsabschlüssen bezahlt. Diese intern „Vertrauensmitarbeiter“ oder kurz „VM“ genannten Tippgeber erhalten von der Debeka Provisionen, wenn von ihnen genannte Personen – häufig handelt es sich dabei um angehende Beamte – eine Versicherung abschließen. In den vergangenen Jahrzehnten gab die Debeka hohe Millionenbeträge dafür aus.
Auch Datenschützer Wagner geht nach seinen Ermittlungen von einem „System von Hinweisgebern“, bestehend aus mindestens 8000 aktiven Beamten, aus. Dazu passt ein internes Debeka-Schreiben aus dem Jahr 2009, in dem der Vorstand als „Ziel“ vorgibt, „mindestens einen VM in jeder Behörde bzw. Firma zu installieren“. Insgesamt führt die Versicherung 15.800 aktive Tippgeber, wie sie gegenüber Handelsblatt und Panorama einräumt.
Die Debeka behauptet, ihre Tippgeber stets schriftlich auf die Einhaltung des Datenschutzes verpflichtet zu haben. Dazu sagt Wagner: „Es mag sein, dass man in einer formalen Weise auf Datenschutzvorschriften hingewiesen hat, aber es gab in der Vergangenheit immer wieder gravierende Verletzungen des Datenschutzes. Die Frage, die man deswegen der Debeka stellen muss: War das nicht Anlass genug, etwas intensiver hinzusehen und nicht nur darauf zu vertrauen, dass ihre Mitarbeiter nach Recht und Gesetz vorgehen würden?“
Auch den Beamten, die den Datenschutz bei ihrer Tätigkeit für die Debeka missachtet haben, drohen „gravierende Sanktionen“, so Wagner. „Diese Beamten haben im Zweifel Insiderwissen verwendet, um über die Köpfe der betroffenen einzustellenden Beamten hinweg neue Kunden zu werben.“
Das sei zunächst ein datenschutzrechtliches Problem, das mit Bußgeld geahndet werden müsse. Es stehe aber auch das Disziplinarrecht im Raum. „Da wird der Dienstherr entscheiden müssen, ob er Disziplinarstrafen ausspricht, und das kann am Ende bis zur Entlassung aus dem Beamtenverhältnis gehen“, so Wagner. Sollten die Beamten außerdem Geld für illegal erlangte Adressen in Empfang genommen haben, sei das eine Frage des Strafrechts.
Tatsächlich ermittelt die Staatsanwaltschaft Koblenz bereits gegen mehrere Verwaltungsmitarbeiter, die Namen sind bisher unbekannt. „Wenn ein Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung ohne vorherige Einwilligung der Betroffenen gegen Geld Adressen rausrückt, dann erfüllt es den Tatbestand der Bestechlichkeit und der Verletzung von Dienstgeheimnissen“, so Staatsanwalt Rolf Wissen. Sollte es zu Verurteilungen kommen, könnten Freiheitsstrafen von bis zu fünf Jahren verhängt werden.
Staatsanwalt Wissen bestätigt, dass seine Behörde außerdem gegen unbekannte Mitarbeiter der Debeka-Gruppe wegen des Verdachts der Bestechung und der Anstiftung zur Verletzung von Dienstgeheimnissen ermittelt. Dazu teilt die Debeka auf Anfrage mit: „Es verstößt gegen die Richtlinien der Debeka, wenn Beamte Adressen an Mitarbeiter der Debeka verkaufen.“ Man habe „großes Interesse an der Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe“.
Die Debeka hatte zuletzt angekündigt, ihr Datenschutzreferat personell zu verstärken und Vertragsanbahnungen künftig zu dokumentieren. Ergebnisse einer internen Untersuchung durch die Unternehmensberatung KPMG hat die Debeka bislang nicht vorgelegt.
Ihre umstrittene Vertriebspraxis hat die Debeka in der Vergangenheit mit einem vermeintlichen Sonderstatus gerechtfertigt. Als „offiziell anerkannte Selbsthilfeeinrichtung des öffentlichen Dienstes auf dem Gebiet der Krankenversicherung“ sei ihr diese Praxis erlaubt. Das Bundesinnenministerium stellt nun auf Anfrage von Handelsblatt und Panorama fest: „Eine staatliche oder behördliche Anerkennung als Selbsthilfeeinrichtung der Beamten gibt es nicht. Aufgrund der aktuellen Satzung(en), die die Debeka veröffentlicht hat, wäre sie nicht als Selbsthilfeeinrichtung anzusehen.“
Trotz dieser Einschätzung betrachtet sich die Debeka weiterhin als privilegierte Selbsthilfeeinrichtung, wie sie auf Anfrage mitteilt. Der Status als Selbsthilfeeinrichtung sei nicht von offizieller Anerkennung abhängig. Die Aussage der Bundesregierung bedeute nicht, „dass wir als Debeka uns nicht dennoch als Selbsthilfeeinrichtung für den öffentlichen Dienst verstehen“.
Ein Handelsblatt-Dossier zum Thema finden Sie zum Download in unserem Kaufhaus der Weltwirtschaft unterwww.kaufhaus.handelsblatt.com.